Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki spricht im Abendblatt über den Zustand seiner Partei.

Kiel. Zoff mit der CSU, abgesagte Steuersenkungen, ein von der Kanzlerin vorgesetzter Präsidentschaftskandidat: Es läuft nicht gut für die FDP. Wolfgang Kubicki geht mit Parteichef Guido Westerwelle hart ins Gericht.

Hamburger Abendblatt: Herr Kubicki, erkennen Sie Ihre Partei noch wieder?

Wolfgang Kubicki: In der öffentlichen Wahrnehmung ist von der Partei, in die ich vor 40 Jahren eingetreten bin, wenig zu erkennen. Bei jeder Gelegenheit wird die FDP auf eine steuerpolitisch und ökonomisch ausgerichtete Partei verengt. Wir wirken so, als ob wir nur Steuern senken wollen, koste es, was es wolle.

Die Kopfpauschale ist abgesagt, Steuersenkungen auch. Wofür regiert die FDP eigentlich noch?

Die Bundesregierung hat neun Monate nicht richtig gearbeitet, weil sie eine Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht gefährden wollte, und hat so das Ergebnis versaut. Niemand, auch Schwarz-Gelb zurzeit nicht, beantwortet die Frage, wie unsere Gesellschaft im Jahr 2020 eigentlich aussehen soll.

In Umfragen ist die FDP auf fünf Prozent abgestürzt. Ist das ihre wahre Größe?

Alle unsere Konkurrenten sehen das so. Die Union hat massiv darunter gelitten, dass die FDP bei der Bundestagswahl fast 15 Prozent geholt hat. Danach hat sie alles unternommen, um die FDP wieder auf die Größe zurechtzustutzen, die die Union für angemessen hält. Mich wundert nur, dass meine Partei von dieser Entwicklung noch immer überrascht ist. Für mich ist die FDP weiterhin eine Partei der 15 Prozent plus X.

Die FDP hat bis zuletzt sämtliche Steuererhöhungen ausgeschlossen. Ein Fehler?

Es stimmt vor allem so nicht. Die FDP will ein Steuersystem nach dem Motto: einfacher, gerechter, niedriger. Aber niedriger bezieht sich aufs Steuerniveau. Das heißt nicht, dass man nicht einzelne Steuern erhöhen kann. Wenn ich die Ausnahmetatbestände bei der Mehrwertsteuer begrenzen will, bedeutet es, dass man in einigen Bereichen von sieben auf 19 Prozent geht Das ist isoliert betrachtet eine Steuererhöhung. Was spricht dagegen, den Spitzensteuersatz von 45 auf 47,5 Prozent anzuheben? Davon wäre ich übrigens selbst betroffen. Man muss aber mit diesen Mehreinnahmen das Problem der kalten Progression bei den kleineren und mittleren Einkommen lösen.

Muss jetzt also die FDP offen über Steuererhöhungen sprechen?

Sie bekommen eine Haushaltskonsolidierung nicht hin, wenn Sie neben der Ausgabenseite, die allerdings das Hauptproblem darstellt, nicht auch die Einnahmeseite betrachten. Wenn wir das erste liberale Wahlversprechen eines einfachen Steuerstufentarifs nicht einlösen können - und das wohl nicht bis 2020 -, dann muss ich wenigstens das zweite einlösen: die Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen. Ich wäre auch dafür, die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge von 25 auf 30 Prozent anzuheben.

Ist die Steuerdebatte der Anfang einer Neuausrichtung? Generalsekretär Lindner und Gesundheitsminister Rösler fordern eine solidarischere FDP.

Das ist eine Frage der Kommunikation. Die FDP muss sich eigentlich nicht verändern. Wir sind in diesen Bereichen hervorragend aufgestellt. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Die Auftritte einiger liberaler Spitzenpolitiker sind nicht dazu geeignet, den Eindruck des kalten Neoliberalismus zu verändern.

Sie meinen Guido Westerwelles spätrömische Dekadenz?

Man muss sich bei bestimmten Begrifflichkeiten über die Folgewirkung im Klaren sein. Das, was Sie länger erklären müssen, ist eine falsche Kommunikation.

Die FDP regiert wieder, der Parteichef ist bald zehn Jahre im Amt. Ist jetzt Zeit für einen personellen Neuanfang?

Nein, das würde man uns als Panik auslegen. Bei allen Vorbehalten, die man gegen Guido Westerwelle haben kann: Ohne ihn hätten wir dieses grandiose Bundestagswahlergebnis nie erreicht. Wir werden allerdings mit Sicherheit den solidarischen Liberalismus nie mit der Person Westerwelle verbinden können, weil sein Erscheinungsbild so ist, dass man ihm das nicht glauben würde. Auch ich sehe nicht so aus, als ob ich Mitgefühl mit Hartz-IV-Empfängern hätte, obwohl ich es habe.

Sollte Westerwelle wenigstens Parteivorsitz und Ministeramt trennen?

Das Problem ist nicht, dass Guido Westerwelle zu wenig als Außenminister oder zu wenig als Parteivorsitzender stattfindet. Das Problem ist, dass Guido Westerwelle im Augenblick gar nicht stattfindet. Er scheint eine neue Rolle zu suchen.

Fehlt es der Partei an charismatischen Persönlichkeiten?

Die derzeitigen historischen Umstände sind nicht so, dass jemand in der Politik überhaupt Charisma entwickeln könnte. Die einzige Persönlichkeit, bei der ich einen Hauch von Charisma erkenne, ist der Präsidentschaftskandidat von SPD und Grünen, Joachim Gauck. Er hält nicht nur Reden, er hat auch was zu sagen.

Ist er für die Liberalen ein wählbarer Kandidat?

Gauck ist ein Liberaler. Und wenn wir an ihn gedacht hätten, wäre er unser Kandidat geworden.

Seit der Nominierung Christian Wulffs im Hauruck-Verfahren brodelt es in den Landesverbänden. Hat Guido Westerwelle die Partei noch im Griff?

Die Vorstellung, dass ein Bundesvorsitzender eine liberale Partei dominiert, sie also 'im Griff' hat, ist absurd. Guido Westerwelle hat gar nicht die Möglichkeit, quasi per Dekret die Partei auf eine Linie einzuschwören.

Wie könnte er denn die Partei hinter sich bringen?

Indem er um bestimmte Meinungen auch wirbt. Doch wir entscheiden nicht mehr allein nach Sachkriterien, sondern auch nach Konsequenzen fürs Koalitionsgefüge. Wenn zum Beispiel die liberalen Delegierten nicht wüssten, dass eine Nichtwahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten zum Bruch der Koalition in Berlin führen würde, würden viele von ihnen Joachim Gauck wählen.

Für wen werden Sie denn stimmen?

Für Christian Wulff. Nicht nur, weil er ein akzeptabler Kandidat ist, sondern auch, weil ich alles vermeiden will, was den Erosionsprozess dieser Koalition beschleunigt.

Aber Sie würden lieber Gauck wählen.

Mein Herz schlägt für Gauck, aber mein Verstand spricht für Wulff. Und da ich immer meinem Verstand folge, werde ich Christian Wulff wählen.

Haben Sie Wulff auch Ihren Wahlmännern und -frauen empfohlen?

Ich gebe an die liberalen Wahlleute keine Empfehlung ab. Die Delegierten sind nicht an Weisungen gebunden und werden sich vernünftig entscheiden. Wenn Liberale die Bundesversammlung benutzen, um gegenüber der Union Flagge zu zeigen, wäre es aber der falsche Ort.

Wo wäre es denn besser?

Besser wäre es bei der CSU. Die erlauben sich Frechheiten, und wir reagieren nicht. Da musste Philipp Rösler in München für seine Gesundheitsreform werben. Dabei hätte Seehofer nach Berlin kommen müssen. Und dann wurde Rösler auch noch abgebügelt wie ein Schuljunge. So wurde das für ihn zu einem Gang nach Canossa. Aber wenn man sich mal gegen die CSU wehrt, fängt die an zu weinen.

Soll die Kanzlerin einschreiten?

Wir brauchen die Unterstützung von Angela Merkel nicht. Ich finde es albern, immer nach Machtworten zu rufen. Damit dokumentiert man, dass man keine Macht hat. Sie werden nie erleben, dass ich in Kiel um ein Machtwort von Harry Peter Carstensen bitte.

Wie lange hält denn die Bundesregierung noch?

Auf jeden Fall ist in den ersten neun Monaten dieser Regierung das Misstrauen deutlich gewachsen. Trotzdem glaube ich, sie hält bis zum Ende ihrer Tage, also bis zur nächsten Wahl 2013.

Was wären Sie bereit, darauf zu wetten?

Eine schöne Kiste italienischen Rotwein. Oder deutschen Riesling, das ist wahrscheinlich politisch korrekter.