München. Der Tübinger Theologe Hans Küng hat die katholischen Bischöfe weltweit zu Reformen auch gegen den Widerstand von Papst und Vatikan aufgerufen. Die katholische Kirche stecke in der tiefsten Vertrauenskrise seit der Reformation im 16. Jahrhundert, schreibt der 82-jährige Theologe in einem offenen Brief.

Papst Benedikt XVI. habe sich in den fünf Jahren seiner Amtszeit immer weiter von der großen Mehrheit des Kirchenvolks entfernt und eine Politik der Restauration eingeleitet, schreibt Küng. Diese Politik sei gescheitert. Der Theologe fordert die Einberufung eines neuen Konzils, das Reformen auch gegen den Widerstand von Papst und Kurie einleiten müsse. Die Bischöfe dürften nicht wie "Statisten ohne Recht und Stimme wirken", fordert der Theologe. Auch wenn jeder Bischof einen Gehorsamseid gegenüber dem Papst abgelegt habe, wisse er doch, "dass uneingeschränkter Gehorsam nie einer menschlichen Autorität, sondern Gott allein geschuldet ist". Der 82-Jährige appellierte an die Bischöfe, gemeinsam mit Priestern und Laien vor Ort für die Erneuerung der Kirche einzutreten. Man dürfe nicht immer nur auf Rom warten. Reformen können auch regional und bewusst gegen den Willen des Papstes angestoßen werden. Als Beispiel nannte Küng den Zölibat: "Ein Priester, der nach reiflicher Überlegung zu heiraten gedenkt, müsste nicht automatisch von seinem Amt zurücktreten, wenn Bischof und Gemeinde hinter ihm stehen."

In dem Brief zieht Küng eine negative Bilanz des Pontifikats von Papst Benedikt XVI., der an diesem Montag fünf Jahre im Amt ist. "Was die großen Herausforderungen der Zeit betrifft, so stellt sich sein Pontifikat zunehmend als eines der verpassten Gelegenheiten und der nicht genützten Chancen dar", schreibt der Theologe. Vertan worden seien sowohl die Annäherung an die evangelischen Kirchen als auch eine Verständigung mit Judentum und Muslimen. Auch auf Fragen der Überbevölkerung, von Aids und Empfängnisverhütung habe die Kirche keine neuen Antworten gefunden. Innerkirchliche Reformen seien vertan worden. Der Papst wende sich mit seiner Politik gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und präsentiere sich als einen "absolutistischen Stellvertreter Christi".