Wer Chancen auf das höchste Staatsamt hat - eine Analyse

Berlin. Für die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler wurden gestern zahlreiche Namen genannt. Die besten Chancen werden Arbeitsministerin Ursula von der Leyen eingeräumt.

Ursula von der Leyen (CDU) besticht am Kabinettstisch durch Professionalität. Die ehemalige Familienministerin, die Ende 2009 ins Arbeitsministerium wechselte, ist zudem ausgesprochen populär. Fiele die Wahl auf "Röschen", wie sie von Kollegen genannt wird, dann wäre das ein starkes Aufbruchssignal: Leyen wäre die erste Bundespräsidentin überhaupt und Repräsentantin einer neuen Generation dazu. Sie wird als Favoritin gehandelt.

Christian Wulff wirkt als CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen unterbeschäftigt. In der Partei bestreitet niemand, dass der 50-Jährige das Amt des Bundespräsidenten ausfüllen könnte. Würde Merkel ihn holen, würde sie die Kritik deckeln, ernst zu nehmende Konkurrenz aus Berlin fernzuhalten. Zöge Wulff jetzt ins Bellevue, wäre ihm der Weg ins Kanzleramt für immer verbaut.

Annette Schavan sitzt seit 2005 mit am Kabinettstisch. Die CDU-Bildungsministerin konnte bislang keine besonderen Akzente setzen. Die katholische Theologin gehörte zwar schon 2004 zu den möglichen Kandidaten, kann sich dieses Mal aber kaum Chancen ausrechnen. Schavan gilt als zu blass.

Norbert Lammert hat als Bundestagspräsident sein intellektuelles Format bewiesen. Der 61-jährige CDU-Politiker wird von Merkel und Westerwelle geschätzt. Sein Handicap: Außerhalb des Parlamentsbetriebs ist er eine unbekannte Größe. Lammerts gute Chancen werden dadurch geschmälert, dass er die gewünschte Bürgernähe nicht mitbringt.

Hans-Jürgen Papier könnte als ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts für seine Partei, die CSU, noch einmal zu großer Form auflaufen. Allerdings ist Papier für die breite Öffentlichkeit ein Unbekannter. Zudem stünde der 66-Jährige nicht für einen deutlichen Generationenwechsel.

Wolfgang Gerhardt würde als früherer FDP-Vorsitzender einen seriösen Kandidaten abgeben. Die von politischen Pleiten verfolgten Liberalen könnten versucht sein, mit dem 66-Jährigen einen eigenen Mann durchsetzen zu wollen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Union dem derangierten kleinen Koalitionspartner die Besetzung des höchsten Staatsamtes überlassen wird.

Margot Käßmann ist vom niedersächsischen SPD-Chef Olaf Lies ins Gespräch gebracht worden. Die linksliberale Theologin würde als Kandidatin der Opposition Aufsehen erregen. Andererseits ist nicht anzunehmen, dass die 51-Jährige, die als Bischöfin zurücktrat, nachdem sie betrunken Auto gefahren war, ein paar Wochen später Ambitionen entwickelt, das höchste Staatsamt anzustreben.

Wolfgang Schäuble wäre 2004 gerne Bundespräsident geworden. Das haben Angela Merkel und Guido Westerwelle damals verhindert. Wenn Merkel ihrem Finanzminister das Amt jetzt anböte, würde sie die unzufriedenen konservativen CDU-Flügel beruhigen. Allerdings würde sich auch die Debatte um Schäubles Gesundheitszustand neu beleben. Ganz abgesehen von der Frage, ob der 67-Jährige jetzt bereit wäre einzuspringen. Wahrscheinlichkeit: 50:50.

Edmund Stoiber wünschen sich einige CSU-Abgeordnete als Bundespräsidenten - in seliger Erinnerung an jene Zeiten, als die CSU in Bayern noch locker absolute Mehrheiten holte. Es ist allerdings unvorstellbar, dass Merkel sich ihren alten Erzfeind nach Berlin holt. Außerdem haftet dem ehemaligen Kanzlerkandidaten der Union ein Verliererimage an, seit er 2005 alle ihm in Berlin angebotenen Ämter ausschlug und danach in Bayern sein Amt aufgeben musste.

Joschka Fischer könnte von der Opposition ins Rennen geschickt werden. Allerdings tendieren die Chancen des grünen Ex-Außenministers gegen null: Es scheint so gut wie ausgeschlossen, dass Fischer auch aus den Reihen von CDU/CSU und FDP Stimmen erben könnte. Der heutige Erdgas-Lobbyist gilt vielen Bürgerlichen nach wie vor als Reizfigur.