So blau war der Himmel über Hamburg noch nie. Wie ein riesiges, glatt gebügeltes Tuch spannt sich das Firmament über die Stadt. Himmlisch weit, wolkenlos und streifenfrei. Es ist still. Ungewöhnlich still. Die Stadt hat ihr Grundgeräusch gedämpft. Sie atmet leiser als an jedem anderen Sonntag. Ungewollt zwar, aber deutlich hörbar. Der Flugverkehr ist eingestellt. Und der Himmel hat Urlaub. Für ein paar Tage haben die Vögel ihren Luftraum wieder - ganz für sich allein.

Die Menschen, die nicht fliegen müssen, atmen auf. Nie war die Luft so klar, nie so lecker wie an diesem Sonntag. Statt nach Kerosin duftet es nach Mandelbäumchen. Statt Staub liegt Leben in der Luft. Das Summen der Hummeln ist das einzige Fluggeräusch in der Stadt.

Während sich auf den Bootsstegen an der Alster die Menschenmassen tummeln, haben sich die Ruhesuchenden zurückgezogen an einen Ort, an dem die Stille greifbar ist. An einen Ort, dessen Markenzeichen an 365 Tagen im Jahr ein Lärmpegel von mehr als 75 Dezibel ist. Normalerweise. Auf den bequemen Teakstühlen der Flughafen-Aussichtsterrasse entspannen diejenigen, die mal gucken wollen, wie es ist, wenn nichts ist.

Helga und Jürgen Gerlach zum Beispiel. Das Ehepaar lebt in Ohlsdorf. Sie hören das Rauschen des Flughafens, das Donnern der Maschinen, das Heulen und Pfeifen der Turbinen - immer dann, wenn der Wind aus Westen kommt. "Dabei lieben wir die Ruhe", sagt der 62-Jährige. "In der Stille ist man auf sich zurückgeworfen." Statt in die Ferienwohnung in Niendorf an der Ostsee ist das Ehepaar zum Hamburger Flughafen gefahren. An den Nabel der Welt, der heute abgeschnitten ist.

Die himmlische Ruhe genießen auch Ronald Lilienthal und Anke Herrmann. Sie konnten ausschlafen. Bei geöffnetem Fenster. Zum ersten Mal in ihrem Leben. 600 Meter ist ihre Wohnung vom Flughafen entfernt. Wenn die Maschinen landen, unterbrechen sie das Gespräch. Jedes Mal. So geht es auch Guido Bohnsack und Manuela Birnbaum, die direkt unter der Einflugschneise in Langenhorn leben. 70 Meter über ihren Köpfen donnern die Flugzeuge vorbei. Alle zehn Minuten. Dann rauscht der Fernseher und die Kaffeetassen klappern im Schrank. Jedes Telefonat wird unterbrochen. Und unwillkürlich ziehen Gäste die Köpfe ein, wenn die Maschinen zur Landung ansetzten. Guido Bohnsack hört den Lärm am Fehnweg schon gar nicht mehr. Aber die Stille an diesem Wochenende, die macht seinen Ohren zu schaffen.

Der Flughafenbetrieb steht. Wie in einem Geisterfilm. Die Terminals sind leer, die Abfertigungsschalter zum großen Teil nicht besetzt. Auf dem Rollfeld stehen Flugzeuge, Busse, Tankfahrzeuge wie abgelegte Spielzeuge. So, als hätte jemand plötzlich den Strom abgeschaltet. Das Licht ausgeknipst. Und das Spiel für beendet erklärt. Am Taxistand vor dem Terminal 2 steht Michael mit seinem Mercedes. Vier Kollegen haben sich zu ihm gesellt. An jedem anderen Tag nimmt die Welt Platz auf ihren Beifahrersitzen, mit schweren Koffern und sperrigem Gepäck. An diesem Sonntag sind es die Gestrandeten. Menschen, die anstatt auf dem Luftwege mit dem Leihwagen gekommen sind. Aus Köln, München, Stuttgart. "Und das alles nur, weil den Isländern ein Kamin platzt", scherzt ein Taxifahrer. Er nimmt den Geschäftsausfall mit Galgenhumor

Mit schleppenden Schritten schiebt eine Reinigungskraft ihren Wagen durch die Abflughalle. Ihre Arbeit ist längst getan. Nach Hause gehen darf sie trotzdem nicht. Genauso wenig wie die Leute von der Flugsicherung. In dunklen Anzügen, mit einer Latte macchiato in der Hand, stehen sie vor dem Terminal. Sie recken ihre Nase der Sonne entgegen. Sie blinzeln in den spurlos blauen Himmel. Sie könnten diesen Tag genießen. Der so still ist. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. "Wenn der Vulkan noch einmal Asche spuckt, sind wir vielleicht unseren Job los", sagt eine. Sie knöpft sich den dunkelblauen Blazer zu, wirft den Kaffeebecher in den Müll und marschiert zurück an ihren Arbeitsplatz. Die Stille macht sie nervös.