Berlin. Bürger sollen in Zukunft bei zu langen Gerichtsverfahren mit 100 Euro pro Monat entschädigt werden. Dies stärke den Rechtsschutz, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs. Eine genaue Grenze, wann ein Fall zu lange dauert, gibt es aber nicht und muss im Einzelfall entschieden werden.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und der Deutsche Richterbund begrüßten den Vorstoß im Grundsatz. "Unsere Sorge ist, dass schnell noch versucht wird, einen Fall zu entscheiden, bevor eine Entschädigung gezahlt werden muss", sagte DAV-Sprecher Swen Walentowski. Grundsätzlich sei aber alles zu begrüßen, was die Bürger vor allzu langen Verfahren schütze. Der Vorsitzende des Richterbunds, Christoph Frank, stellte die Bundesländer in die Pflicht, die für die Entschädigung aufkommen müssten: "Eine Entschädigungslösung hat den großen Vorteil, unmittelbar dort anzusetzen, wo die Verantwortlichkeit für überlange Verfahren in Deutschland wirklich liegt - ganz überwiegend nicht bei den seit vielen Jahren die Überlast der Verfahren tragenden Richtern, sondern bei den für die Sach- und Personalausstattung zuständigen Ländern."

Im europäischen Vergleich ist es um die Verfahrensdauer in Deutschland gut bestellt, erklärten Justizministerium und Anwaltsverein übereinstimmend. So dauert ein Zivilrechtsprozess vor dem Amtsgericht im Schnitt viereinhalb Monate, vor einem Landgericht gut acht Monate. Allerdings zieht sich jeder achte Prozess vor den Landgerichten mehr als ein Jahr hin, rund sechs Prozent dauern mehr als zwei Jahre. Bei Verwaltungsgerichten kann sich ein Prozess Ministeriumsangaben zufolge auch schon mal über drei Jahre erstrecken, die Prozessdauer vor einem Oberverwaltungsgericht kann satte 41 Monate betragen.

Leutheusser-Schnarrenberger sagte dazu: "Überlange Prozesse können Privatpersonen und Unternehmen stark belasten, finanziell und persönlich." In vielen europäischen Ländern gebe es bereits einen besonderen Rechtsschutz für solche Fälle. Sie erwarte von der Neuregelung positive Effekte für die Justiz insgesamt und schob den Ball ebenfalls den Ländern zu: "Bei berechtigten Klagen werden die Verantwortlichen über Verbesserungen bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken."

Wie viele Verfahren von einer Entschädigung betroffen wären, ist nicht absehbar. Ein Kostenanstieg "infolge der Neuregelung liegt aber nahe", heißt es im Gesetzentwurf. Allerdings seien wegen beschleunigter Prozesse auch Einspareffekte zu erwarten.

Bevor die Entschädigung geltend gemacht wird, muss der Betroffene die Verzögerung zunächst gegenüber dem Gericht rügen. Diese "Vorwarnung" bietet den zuständigen Richtern Gelegenheit, bei berechtigter Kritik Abhilfe zu schaffen und schnell Maßnahmen für eine Beschleunigung zu treffen. Wenn dies nicht geschieht, kann der Betroffene im zweiten Schritt nach drei Monaten Entschädigungsklage gegen den Staat erheben, auch wenn das verzögerte Ausgangsverfahren noch andauert. Zuständig für solche Entschädigungsklagen sollen die Oberlandesgerichte sein. Bis es so weit ist, haben aber erst einmal die Länder und Verbände Gelegenheit, zu dem Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen.