Die Ablehnung von Steuersenkungen wird immer breiter. Auch der Bundespräsident ist dagegen. Die Kanzlerin windet sich.

Hamburg. Die Regierung ist nervös. Nur noch sieben Wochen sind es bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW). Für die schwarz-gelbe Koalition steht nicht nur die dortige Macht auf dem Spiel, sondern auch die Mehrheit im Bundesrat - und damit alle Reformprojekte. Die geplante Steuerreform macht es den Regierenden besonders schwer. Die Kanzlerin will sich nur vielleicht vor der Wahl äußern. Der Finanzminister denkt ans Sparen, und die CDU-Ministerpräsidenten gehen auf Distanz zur Regierung. Das Abendblatt beleuchtet die Schauplätze einer Politik voller Widersprüche.

Berlin, Bundeskanzleramt

Wann immer sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer treffen, geht es üblicherweise um die ganz großen Linien der Regierungspolitik. Vom Koalitionsgipfel hätte man demnach erwarten müssen, dass es vor allem um das Wie und Wann einer Steuerreform gehen würde. Aber nein, das Thema stand gestern Abend angeblich nie auf der Tagesordnung. Zumindest von einem "sehr konstruktiven Abend" sprach danach Westerwelle - und davon, dass die Dinge zueinanderfänden. Weitgehend einig war sich die Runde dem Vernehmen nach über eine Bankenabgabe. Viel mehr drang nicht nach außen. Dabei hatte die Kanzlerin selbst vorher das Thema Steuern angesprochen. "Wir können das konkretisieren und werden das auch tun, was machbar ist", so Merkel im Deutschlandfunk. Allerdings könnten für den Haushalt 2011 keine abschließenden Aussagen gemacht werden, bevor nicht die Steuerschätzung auf dem Markt sei. "Das heißt also: Alle Antworten werden wir vor dem 9. Mai und der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht geben können." Das klang vor allem nach Hinhaltetaktik, nicht aber nach einer Strategie.

Münster, Halle Münsterland

Jürgen Rüttgers will absolute Klarheit vor der NRW-Wahl am 9. Mai, Angela Merkel will diese Klarheit unbedingt vermeiden. Der Ministerpräsident und die Kanzlerin verstehen sich in Sachen Steuerpläne nicht sonderlich gut. Also einigten sie sich beim CDU-Parteitag, der gezwungenermaßen Geschlossenheit demonstrieren sollte, auf eine gemeinsame Sprachregelung: Keinesfalls dürfte es Steuerentlastungen auf Kosten der finanziell klammen Kommunen geben, sagte Rüttgers. Und Merkel wiederholte: Es sei nicht Politik der CDU, Steuersenkungen auf Kosten der Kommunen durchzusetzen. Um niedrigere Steuern zu ermöglichen, dürften die Kommunen nicht "ausbluten". So weit, so einig. Der Rest der Veranstaltung folgte der Devise "Augen zu und durch". Trotz fehlender Mehrheit in den Umfragen muss es irgendwie reichen für Schwarz-Gelb in NRW, so der Tenor. Die Botschaften der Kanzlerin waren eindeutig. "Das größte Bundesland muss stabil regiert werden, weil es nicht Platz sein darf für Experimente mit ungewissem Ausgang." Die CDU wolle, dass in Düsseldorf die Koalition mit der FDP fortgesetzt werden könne, so die Parteichefin. Rüttgers wiederum ging auch auf Distanz zum bisherigen Partner: "Ich stehe für eine andere Politik als die FDP. Die CDU macht Politik für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen, nicht nur für zehn Prozent."

Eine Niederlage von Schwarz-Gelb in NRW wäre zumindest für die FDP kein "Weltuntergang", befand Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Abendblatt im Gegenzug. Die Liberalen geben sich entspannt. Wenn Schwarz-Gelb verliert, kann die FDP getrost Rüttgers die Schuld geben. Ihm will es nicht gelingen, seine "Rent a Rüttgers"-Affäre abzuschütteln. Nach einem "Spiegel"-Bericht hat seine Landes-CDU Sponsoren auf früheren Parteitagen auch Fotoaufnahmen mit Regierungsmitgliedern angeboten. Die Unternehmen konnten ankreuzen, mit welchem CDU-Regierungsmitglied sie sich am Firmenstand fotografieren lassen wollten. Ganz oben auf der Liste habe "Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers MdL" zur Auswahl gestanden.

Berlin, Schloss Bellevue

Zuletzt war es ruhig geworden um den Bundespräsidenten. Das hatte vor allem an ihm selbst gelegen. Horst Köhler hatte das schwarz-gelbe Treiben offenbar nicht kommentieren wollen - bis zum vergangenen Wochenende. Da wandte er sich in einem "Focus"-Interview mit deutlichen Worten gegen die Regierung: Mit deren bisheriger Arbeit sei er unzufrieden. Das Volk habe nach der Bundestagswahl "tatkräftiges Regieren" erwartet. "Daran gemessen waren die ersten Monate enttäuschend", sagte das Staatsoberhaupt. Zumindest seien sich die Beteiligten darüber aber "selbst klar".

Darüber hinaus forderte das Staatsoberhaupt eine "Lösung für das Megaproblem Schulden". Deutliche Steuersenkungen wären "ein Vabanquespiel". Er könne "nicht ausschließen - und ich sage das ganz bewusst -, dass auch Steuererhöhungen nötig sein können".

Berlin, Bundesfinanzministerium

Vermutlich hat Wolfgang Schäuble als einer der wenigen in der Koalition Köhlers Worte mit Genugtuung aufgenommen. Der Finanzminister ist zurück an seinem Schreibtisch in der Berliner Wilhelmstraße. Seine Ärzte wollten ihn länger im Krankenhaus behalten, nachdem sie dem Querschnittsgelähmten ein Implantat ersetzt hatten. Aber die vergangenen Tage waren politisch einfach zu ernst für den Minister. Im Bundestag wurde ein Schuldenrekord verabschiedet, und Schäuble wollte zurück. Seine Leistung wird am Schuldenabbau gemessen. Über die Steuerreform will er im Moment nicht reden. Stattdessen kommt er aus dem Staunen nicht mehr heraus: Die Ministerkollegen denken nicht ans Sparen. Via "Bild am Sonntag" las er ihnen die Leviten. "Die Etatwünsche der Kolleginnen und Kollegen tragen - zurückhaltend formuliert - dem Ernst der Lage noch nicht in vollem Umfang Rechnung", sagte der CDU-Politiker noch höflich. Dann wurde er deutlich: Er werde "in dieser Woche im Kabinett in aller Klarheit daran erinnern, dass die Einhaltung von Stabilitätspakt und Grundgesetz eine Aufgabe der ganzen Regierung zum Besten unseres Volkes ist".

Stuttgart, Villa Reitzenstein

Was den Sparwillen angeht, weiß Schäuble die meisten Länderchefs an seiner Seite. Nur ein besonders wichtiger in der Riege der CDU-Ministerpräsidenten hatte sich bisher zurückgehalten. Nun hat auch der neue baden-württembergische Regierungschef Stefan Mappus von seinem Dienstsitz, der Villa Reitzenstein, eine klare Botschaft gegen weitere Steuersenkungen gen Berlin geschickt: Er sagte der "Bild"-Zeitung: "Nach heutigem Stand sehe ich keinen Spielraum, um die Steuern schon 2011 weiter zu senken." Auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) will sich wehren: "Ich sehe für Steuererleichterungen null Spielraum", sagte er dem "Focus". Inzwischen können sich beide auf die Mehrheit der Deutschen berufen. In einer Umfrage des Instituts Demoskopie Allensbach sagten 52 Prozent der Befragten, der Kampf gegen die Staatsverschuldung sei wichtiger als Steuersenkungen. Nur 29 Prozent fanden Steuersenkungen wichtiger.