Bundespräsident Horst Köhler könnte sich in viele Debatten einmischen. Doch er tut es nicht. Sein Amtsstil irritiert die Politik.

Berlin. Gäbe es nicht die protokollarischen Pflichten, könnten die Deutschen den Eindruck gewinnen, Horst Köhler sei gar nicht mehr ihr Bundespräsident. Seit seiner Wiederwahl vor einem Jahr ist es auffallend still um den 67-Jährigen geworden. Köhler, der in den ersten Jahren als Staatsoberhaupt mehr Machtworte sprach als die Bundeskanzlerin und damit den Unmut der Parteien auf sich zog, irritiert nun den Berliner Betrieb erneut - diesmal mit seinem Schweigen.

Seit Wochen fordern ihn Oppositionspolitiker von Grünen, Linkspartei und SPD auf, sich endlich einzumischen. Mal soll er zu den Streitthemen der Koalition von Union und FDP Stellung beziehen, dann soll er die Äußerungen des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle über Hartz-IV-Empfänger bewerten. Gestern forderte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann Köhler auf, sich zum Vorwurf des Amtsmissbrauchs gegen FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle zu Wort zu melden und auch die Sponsoring-Affäre des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) zu thematisieren. "Ich finde, das wäre eine gute Gelegenheit für den Bundespräsidenten, in einigen Grundsatzfragen für mehr Klarheit zu sorgen", sagte Oppermann.

Aber Köhler spricht keines der Themen an, die die Republik in diesen Wochen bewegt. Erscheint dem ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Euro-Krise nicht bedrohlich genug, die deutsche Rekord-Staatsverschulung nicht dramatisch genug, die Sozialstaatsdebatte nicht scharfzüngig genug? Auch gestern war es allein das Protokoll, das den Bundespräsidenten in die Öffentlichkeit zog. Im Schloss Bellevue verlieh er zuerst Schauspielerin Marie-Luise Marjan alias "Mutter Beimer" für deren ehrenamtliche Engagement im Kinderhilfswerk Plan International das Große Bundesverdienstkreuz. Später ernannte er Andreas Voßkuhle zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungs- gerichts und verlieh dessen Vorgänger Hans-Jürgen Papier auch das Verdienstkreuz. Doch Köhler haben die Vorwürfe offenbar zugesetzt. In seiner Ansprache zu Ehren der Richter wiederholte er, was er schon im Bundestag nach seiner Wiederwahl im vergangenen Mai gesagt hatte: dass er sich verstärkt für eine lebendigere Demokratie einsetzen wolle. "Ich habe mir dies als einen Schwerpunkt meiner zweiten Amtszeit vorgenommen." Damals im Bundestag hatte Köhler gesagt: "Demokratie, das sind wir alle." Danach hatte er sich vor die Fernsehkameras gestellt und die Direktwahl des Bundespräsidenten gefordert. Niemand in der schwarz-gelben Koalition, die ihn gerade erst gewählt hatte, fand diesen Vorschlag sinnvoll. Selbst Kanzlerin Angela Merkel wollte nichts davon wissen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Köhler nun erneut mit demselben Thema Gehör findet. Dabei könnte er gehört werden. Genügend Machtinstrumente hätte er. Das erste: Er darf das Parlament auflösen. Das zweite: Er darf seine Unterschrift zu einem Gesetz verweigern. Das entscheidende aber ist: Sein Wort hat Bedeutung. Alle drei Machtinstrumente hat Horst Köhler am Anfang seiner ersten Amtszeit eingesetzt. Dass er die ersten beiden Waffen erneut zückt, erwartet niemand von ihm. Wohl aber, dass er sein Versprechen ein zweites Mal einlöst, das er nach seiner ersten Wahl den Bürgern gegeben hatte: ein offener, unbequemer Bundespräsident zu sein, der sich in ihm wichtig erscheinende Debatten einmischt. In seiner ersten Amtszeit hatte er den Konflikt mit der rot-grünen und später mit der schwarz-roten Koalition geradezu gesucht und vehement zu mehr Reformeifer aufgerufen. Bis auf seinen Einsatz für Afrika hat er in der zweiten Amtszeit keine Akzente gesetzt, innenpolitisch schon gar nicht.

Vielleicht ist Köhler auch momentan zu sehr mit seinem Bundespräsidialamt beschäftigt. Mehrere Spitzenbeamte haben sich neue Aufgaben gesucht. Bald geht auch Köhlers Sprecher Martin Kothé. Es heißt, Kothé und Köhlers Staatssekretär Hans-Jürgen Wolff kämen nicht miteinander zurecht. Auch dem Bundespräsidenten wird die Personalfluktuation zugeschrieben. Nicht wenige Mitarbeiter hätten den nach außen so ruhig wirkenden Köhler als aufbrausend und jähzornig erlebt, ist zu hören.

Gründe für Köhlers Schweigen sind es wohl nicht. SPD-Politiker Oppermann meint, andere Motive bei Köhler entdeckt zu haben. Es dürfe nicht vergessen werden, dass er "ein politisches Ziehkind" der schwarz-gelben Koalition sei, sagte er. "Vielleicht schämt er sich seiner Herkunft."