Die Grünen-Vorsitzende über die Bündnisse mit der CDU, den Bildungsstreit in Hamburg und die Frauenpolitik in der heutigen Zeit.

Berlin. Hamburger Abendblatt: Frau Roth, bei den Landtagswahlen in NRW scheinen die Grünen das Zünglein an der Waage zu sein. Für ein Zweiparteienbündnis wird es den Umfragen zufolge voraussichtlich nicht reichen. Bleibt es bei Ihrer Absage an ein Jamaika-Bündnis mit CDU und Liberalen?

Claudia Roth: Die Umfragen ändern an unserer Absage an Jamaika gar nichts. Die Grünen sind in Nordrhein-Westfalen nicht die Mehrheitsbeschaffer einer Politik, die die Blaupause abgibt für das schwarz-gelbe Drama, das wir in Berlin erleben. Wer glaubt, die Grünen helfen ausgerechnet denen, die in ganz Deutschland nur noch Verdruss verbreiten, der ist schief gewickelt.

Abendblatt: Das heißt, Sie wollen ein Bündnis mit SPD und Linken?

Roth: Ich setze darauf, dass wir so stark werden, dass es für Rot-Grün reicht. Die Linkspartei muss deutlich machen, ob sie weiter krachende Fundamentalopposition sein will oder ob sie bereit ist, sich realitätstüchtiger Politik anzunähern.

Abendblatt: Unter welchen Bedingungen könnte es Rot-Rot-Grün in NRW aus Ihrer Sicht geben?

Roth: Solange die Linke nicht auf dem Boden der Tatsachen ankommt - und dafür fehlt in Nordrhein-Westfalen noch ein ganzes Stück -, ist an so eine Koalition nicht zu denken. Es ist vielmehr Sache der Linkspartei, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Die müssen endlich mit einem vernünftigen Programm kommen, wir laufen denen doch nicht hinterher.

Abendblatt: Zwischenzeitlich sah in NRW schon vieles nach einer schwarz-grünen Koalition aus, wie es sie auch in Hamburg gibt.

Roth: Die Rüttgers-CDU ist gerade in der Bildungspolitik der Hamburger Union Lichtjahre hinterher. Trotzdem ist es immer richtig, selbstbewusst Gespräche zu führen. Aber wenn die Inhalte nicht stimmen, dann geht da gar nichts. Wir sind nicht so blöd zu sagen, Opposition ist Mist. Und dass wir von Opposition etwas verstehen, ist bekannt.

Abendblatt: Kann Schwarz-Grün in Hamburg über den Streit um die Primarschule zerbrechen?

Roth: Nein, da gehe ich nicht von aus. Im Übrigen: Wenn Schwarz-Grün diese Reform nicht durchsetzen kann, wer soll es denn dann schaffen? Ich freue mich außerdem sehr, dass alle Bürgerschaftsparteien diesen Kurs jetzt unterstützen.

Abendblatt: Dennoch könnte ein Volksentscheid Ihre Pläne durchkreuzen ...

Roth: Im Fall eines verlorenen Volksentscheids wäre nicht nur Schwarz-Grün gescheitert, sondern die gesamte Hamburger Politik. Das wäre ein Desaster für eine moderne Bildungspolitik im ganzen Land.

Abendblatt: Die Hamburger CDU verliert zurzeit kräftig an Zustimmung. Könnten Sie sich in der Hansestadt auch ein Bündnis mit der SPD vorstellen?

Roth: Das wollten wir ja ursprünglich. Aber da müssen Sie jetzt schon unsere Hamburger Parteifreunde fragen. Ich höre nur immer wieder, dass die Zusammenarbeit dort bei Schwarz-Grün vertrauensvoll und gut ist. Aber natürlich muss auch politisch weiter geliefert werden. Wie tragfähig das Projekt ist, wird sich auch am stadtökologischen Umbau erweisen müssen.

Abendblatt: Im Bund sehen immer mehr Deutsche in Schwarz-Grün eine Alternative. Stehen Sie bereit einzuspringen, wenn die Union von der FDP genug hat?

Roth: Wir sind doch nicht die Hupfdohle von Frau Merkel. Wenn das Zerwürfnis von Schwarz-Gelb komplett ist, muss neu gewählt werden und kann nicht mittendrin einfach der Partner gewechselt werden. Das sage ich auch mal an die Adresse all jener in der Union, die uns zurzeit so anschmachten und uns regelrecht Hundeblicke zuwerfen. Das Schmachten ist natürlich dem Leiden an der FDP geschuldet, aber das hätten sich Merkel und Co. eher überlegen müssen. Der Kanzlerin werfe ich vor, dass sie die obszöne Sozialkritik des Guido Westerwelle zulässt. Sie sitzt da wie die Spinne im Netz und sieht zu, dass aus ihrer Regierung heraus Kampagnen geführt werden, wo die Armen gegen die Ärmsten mobilisiert werden. Diese Regierung muss abgewählt werden, und zwar konsequent. Nordrhein-Westfalen ist der erste Schritt dazu.

Abendblatt: Die Grünen-Anhänger sind inzwischen so bürgerlich, dass sich 72 Prozent eine Regierung mit der CDU/CSU vorstellen können. Hat Sie das überrascht?

Roth: Vor ein paar Jahren wäre das für mich undenkbar gewesen, da gab es gesellschaftspolitisch eine Wand. Aber die Gesellschaft hat sich insgesamt verändert, das ist auch an der CDU nicht spurlos vorübergegangen. Auch die CDU hat sich modernisieren und öffnen müssen. Und dieser teilweise Abschied von verbohrter Ideologie ist gut. Außerdem sind wir heute selbstbewusst eigenständig und prüfen, mit welcher Partei wir jeweils vor Ort unsere Inhalte am besten durchsetzen können. Dabei wissen unsere Anhänger, dass sie sich auch darauf verlassen können, dass wir in unterschiedlichen Konstellationen für unsere Überzeugungen eintreten und diese auch umsetzen.

Abendblatt: Heute ist Weltfrauentag. Wie steht es um die Gleichberechtigung in Deutschland?

Roth: Schlecht. Frauen verdienen im Schnitt immer noch ein Viertel weniger als Männer, Deutschland gehört da im EU-Vergleich zu den Schlusslichtern. Und gerade Frauen sind besonders von Armut betroffen, vor allem viele alleinerziehende Frauen rutschen in die Armutsfalle. Das ist auch kein Wunder, da wir von einer wirklichen Vereinbarkeit von Arbeit und Familie noch weit entfernt sind. Wir brauchen endlich ein flächendeckendes Angebot von Betreuungsplätzen, und zwar für den ganzen Tag, und von Ganztagsschulen, wobei auch die Qualität ausgebaut werden muss.

Viele Geringverdiener sind weiblich, ein Mindestlohn und eine geringere Belastung bei den Sozialabgaben mit einem Progressiv-Modell sind da überfällig. Aber Schwarz-Gelb marschiert genau in die Gegenrichtung: Mit ihren Steuersenkungen für Hotels und Besserverdienende werden die Kommunen ausgeblutet, der Ausbau der Kinderbetreuung rückt in weite Ferne, und Alleinerziehende und ihre Kinder, die auf Transferleistungen angewiesen sind, schauen in die Röhre.