Hamburg. Was Umfragewerte aus einem Politiker machen können, sah man im Gesicht von Sigmar Gabriel (50). Als der SPD-Chef am Freitagabend im Saal G des CCH vor die Hamburger Sozialdemokraten trat, lächelte er genüsslich und zitierte gleich zu Beginn seiner Rede die neuen Zahlen aus Nordrhein-Westfalen, nach denen die SPD acht Wochen vor den Wahlen gleichauf mit der CDU liege. Dann ging Gabriel vor den mehr als 500 Parteimitgliedern auf die schwarz-gelbe Regierung los.

Er scherzte über "Mutti Merkel", die ständig außer Haus sei. "So wollten wir antiautoritäre Erziehung nicht verstanden haben", sagte er. Außenminister Guido Westerwelle sitze einer "gnadenlosen" Partei vor. "Der Westerwelle ist ein Radikaler und gehört auch nicht in den öffentlichen Dienst."

Während sich die Kanzlerin mit Premier Papandreou in Berlin traf, gab Gabriel in Hamburg der EU eine Mitschuld am Ausmaß der Staatsverschuldung Griechenlands. Die EU hätte schon viel früher die drohende Pleite erahnen müssen. Gabriel: "Ich finde, da ist im Europäischen Parlament mal ein Untersuchungsausschuss fällig."

Als sich die Sozialdemokraten Mitte November vergangenen Jahres zum Bundesparteitag in Dresden getroffen hatten, lag die Partei so tief in der Krise wie ihre Umfragewerte. Sigmar Gabriel wurde damals zum neuen Parteivorsitzenden gewählt und kündigte einen Meinungsaustausch und eine neue Debattenkultur in der Partei an.

Der Drang zur Debatte der Hamburger Sozialdemokraten war so groß, dass die Veranstaltung kurzfristig in einen größeren Saal verlegt werden musste.

Gabriel forderte die Partei zur Geschlossenheit auf. Sie müsse endlich die Flügelkämpfe beilegen. Er appellierte an die Stärken der SPD in der Sozialpolitik und bei Bildungsfragen. "Wir sind nicht allein wegen der Fehler der anderen zu alter Kraft zurückgekehrt", sagte der Vorsitzende. Eine gemeinsame Politik sei aber nicht nur die Aufgabe der Parteispitze, sondern sie müsse auch aus der Basis wachsen. Als diese "Basis" vor die Mikrofone im Saal trat, kamen Fragen zur Glaubwürdigkeit der SPD, die stark gelitten habe in der Vergangenheit. Es wurde diskutiert über den Einsatz in Afghanistan, Atompolitik und härtere Maßnahmen gegen Steuerhinterzieher. Wütende Zwischenrufe einzelner Genossen unterbrachen immer wieder Gabriels Rede. Sie verrieten viel darüber, dass die an diesem Abend viel beschworene Geschlossenheit der Partei noch Lücken hat. "Wenn du Antworten haben willst, musst du zuhören", entgegnete Sigmar Gabriel einem Widerredner. Der Applaus nach Gabriels Antwort übertönte den Protest. Das zumindest dürfte den Parteivorsitzenden beruhigt haben.