Hamburg. In Juristenkreisen galt er zeitweilig als eine Art Wunderkind: Andreas Voßkuhle war einer der jüngsten Uni-Rektoren Deutschlands, keine vier Wochen später Verfassungsrichter, mit 44 Jahren dann jüngster Vizepräsident des höchsten deutschen Gerichts und jetzt, 22 Monate später, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Wieder der Jüngste aller Zeiten. Der Wahlausschuss des Bundestages entschied am Freitag, dass der Freiburger Staatsrechtsprofessor das Amt von Hans-Jürgen Papier übernimmt, der mit 66 Jahren ausscheidet.

Am Verfassungsgericht vollzieht sich damit ein Generationswechsel. Von Papier, in Kriegszeiten in Berlin als Sohn eines Bäckers geboren, zu Voßkuhle, einem Professorensohn aus dem westfälischen Detmold, Jahrgang 1963. Acht Jahre nach dem Ausscheiden von Jutta Limbach steht mit ihm wieder ein von der SPD benannter Kandidat an der Spitze des Gerichts.

Von sich selbst sagt der parteilose Voßkuhle, er sei "der Sozialdemokratie nahe". Dabei war er 2008, als ein Richterposten in Karlsruhe frei wurde, nur zweite Wahl. Die SPD hatte zunächst den Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier nominiert, der aber bei der Union wegen seiner liberalen Ansichten zu Embryonenschutz und Folterverbot durchfiel. Als Kompromisskandidat erhielt Voßkuhle schließlich die nötige Zweidrittelmehrheit.

Bei seiner neuen Aufgabe rangiert für den bisherigen Vizepräsidenten des Gerichts die Verpflichtung auf das Grundgesetz weit über der eigenen Weltanschauung. Wie sein Amtsvorgänger Papier scheut auch Voßkuhle, verheiratet mit einer Richterin, keinen Konfrontationskurs zur Politik. Unter Papier stoppte das Gericht das Luftsicherheitsgesetz und erklärte kürzlich die Hartz-IV-Sätze für Kinder und die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig. Unter Voßkuhle entschied der zweite Senat, die umstrittene Pendlerpauschale wiedereinzuführen. Zudem verlangte der Senat in der Entscheidung zum Lissabon-Vertrag eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte deutscher Parlamentarier bei wichtigen EU-Entscheidungen. Abgeordnete aller Fraktionen schimpften damals, das Gericht schwinge sich zum Gesetzgeber auf und ruiniere Jahrzehnte deutscher Europapolitik. Dem politischen Berlin dürfte klar sein, dass das Verfassungsgericht auch künftig die Grenzen aufzeigen wird, wenn die Politik mit dem Grundgesetz kolliediert.

Doch die Schuhe, die Papier hinterlässt, sind groß. So gibt es für den 66-Jährigen, bisher Präsident, Senatsvorsitzender und Richter in Personalunion, jetzt gleich drei Nachfolger. Der 59-jährige Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof wird Vorsitzender des Ersten Senats. Der Tübinger Professor, Bruder des früheren Verfassungsrichters Paul Kirchhof, wird zudem Stellvertreter Voßkuhles. Der Göttinger Völkerrechtler Andreas Paulus (41) kommt neu an das Gericht, er folgt auf die Richterstelle Papiers.

Wann Bundespräsident Horst Köhler die neuen Richter ernennt, ist noch nicht bekannt.