Berlin. Die ostdeutsche Gesellschaft zerfällt einer neuen Langzeitstudie zufolge immer mehr. "Vom einstigen sozialistischen ,Wir' ist in Wittenberge nichts mehr zu spüren", sagte der Soziologe Heinz Bude in Berlin bei der Vorstellung einer Untersuchung, die in der brandenburgischen Kleinstadt realisiert wurde. "Ostdeutschland existiert nicht mehr", resümierte der Wissenschaftler.

Die gesellschaftlichen Gruppen stünden nur noch wie Säulen nebeneinander. "Die ,Gewinner' und die ,Verlierer', die Unternehmer, die Rentner, die Arbeitslosen - sie alle haben nichts mehr miteinander zu tun und grenzen sich stark nach außen ab", erläuterte der Kasseler Professor die von der Wochenzeitung "Die Zeit" präsentierten Forschungsergebnisse. "Die Schicksalsgemeinschaft von Wittenberge ist aufgesprengt."

28 Forscher, von denen einige bis zu elf Monate in der zwischen Berlin und Hamburg gelegenen Stadt mit rund 20 000 Einwohnern gewohnt hatten, beobachteten die Bewohner im Rahmen der Studie über drei Jahre hinweg. Dabei habe sich gezeigt, dass ein jahrzehntelang durch Erwerbstätigkeit strukturierter Alltag durch ein Konsummodell ersetzt wurde. "Das Discounting wird zum Arbeitsmodell", sagte Bude.

Gleichwohl gebe es auch hoffnungsfrohe Zeichen. "Es gibt auch ,fitte Pendler', die leistungsbereit, aber auch heimatverbunden sind", sagte Bude. "Die Menschen wissen: Das Warten ist vorbei, es wird kein Wunder geben."