Berlin. Im Prinzip ist es ein normaler Vorgang, wenn sich ein Bundesaußenminister den Fragen der Bundespressekonferenz stellt. Zumal, wenn es einen so naheliegenden Anlass wie die Bundestagsabstimmung über die Verlängerung des ISAF-Mandats gibt. Dennoch hatte man am Freitag den Eindruck, dass Guido Westerwelle die Afghanistan-Entscheidung vom Vormittag nur zum Anlass genommen hatte, dass er irgendwie die Flucht nach vorne antreten wollte.

Auf den ersten Blick wirkte der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler wie immer. Dunkelgrauer Anzug, purpurfarbener Binder, höfliches Lächeln. Er redete auch wie immer. Erst ein bisschen über die Afghanistan-Problematik, dann fast nur noch über die von ihm ausgelöste Sozialstaatsdebatte. Wohl wissend, dass die meisten Journalisten auch nur deshalb gekommen waren. Die Kritik, die er auf sich gezogen habe, irritiere ihn nicht, beteuerte Westerwelle. Im Mittelpunkt stehe "endlich wieder die Mittelschicht, die alles erarbeitet hat, was verteilt werden soll". Er habe da nichts zurückzunehmen. Schon gar nicht die Bemerkung von der "spätrömischen Dekadenz" im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Leistungen. Im Gegenteil. Die Debatte habe die Leute "wachgerüttelt", und die Mehrheit gebe ihm inzwischen recht, sagte er mit Blick auf das aktuelle ZDF-Politbarometer, wonach 54 Prozent der Befragten finden, dass Westerwelles Hartz-Kritik richtig ist.

Andererseits halten zwei Drittel der Deutschen den Chef der Liberalen auch für den Chefquerulanten in der schwarz-gelben Koalition. Das ergibt sich aus der jüngsten Forsa-Umfrage, aber die ließ Westerwelle elegant unter den Tisch fallen. Immerhin räumte er ein, dass die "Rütteleien" in den ersten Regierungsmonaten den "unterschiedlichen Erlebnishintergründen" geschuldet gewesen seien: Die einen seien halt aus der Opposition gekommen, die anderen hätten vorher schon regiert. Da sei es doch verständlich, dass man sich "erst aneinander gewöhnen" müsse. Der Zustand der Koalition sei aber "sehr gut". Sein Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete Westerwelle sogar als "absolut ungetrübt". "Wir treffen uns mindestens einmal die Woche unter vier Augen, meist auch häufiger, telefonieren, simsen, was das Zeug hält."

Schlechte Schauspieler, sagt man, können das Übertreiben nicht lassen, und etwas weniger wäre vermutlich auch am Freitag mehr gewesen. Tatsächlich ist der FDP-Vorsitzende am Ende doch noch kurz aus der Rolle gefallen. Als er zum x-ten Mal mit seiner "spätrömischen Dekadenz" konfrontiert wurde, schnappte Westerwelle zurück, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Wer wolle, könne es komplett nachlesen. Nein, wer wolle, könne jetzt und gleich eine Kopie bekommen! "Und ich schreibe auch noch 'In Liebe, Guido!' drauf, wenn Sie das gerne möchten!"