Hamburg. Der scheidende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier (66), bringt mit seiner Pensionierung das Personalkarussell in Karlsruhe in Gang. In der kommenden Woche bestimmt der Richterwahlausschuss des Bundestages einen neuen Präsidenten, einen neuen Vizepräsidenten sowie einen neuen Verfassungsrichter im Ersten Senat.

Papier-Nachfolger wird sein bisheriger Stellvertreter Andreas Voßkuhle. Vizepräsident soll Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof werden. Er ist der jüngere Bruder von Paul Kirchhof, der für das erste Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgesehen war. Neuer Richter in Karlsruhe wird voraussichtlich Andreas Paulus (siehe nebenstehenden Text).

Papiers Amtszeit endet am Sonntag. Der Bäckersohn, der eine viel beachtete Karriere als einer von Deutschlands Top-Juristen hingelegt hat, kehrt auf seinen Lehrstuhl für öffentliches Recht an die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität zurück. Doch wegen der Nachwahl in der kommenden Woche soll er am Dienstag noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung verkünden. Tausende Bürger, Organisationen und Datenschützer hatten gegen die Regelungen des Gesetzes geklagt.

In seinem Abschieds-Auftritt außerhalb des Gerichtssaals hat Papier noch einmal der Politik die Leviten gelesen. Er verteidigte die Karlsruher Rechtsprechung entschieden gegen Forderungen nach einem "Primat der Politik". Das Gericht sei sich seiner Verantwortung bewusst. Von ihm sei "weise Zurückhaltung" gefordert, sagte Papier. Zugleich warnte Papier vor Versuchen, die Karlsruher Richter in die Schranken zu weisen. Er kritisierte pauschale Angriffe auf die Urteile seines Hauses. "Solche allgemeinen Forderungen treffen den Nerv der Verfassung", sagte der Präsident.

Da die Grenzen der Politik nicht in der Verfassung zu finden seien, müsse das Gericht oft interpretieren. "Teilweise werden Entscheidungen von der Politik auch geradezu abgewartet", meinte Papier.

Auch wies er den Vorwurf zurück, das Gericht führe sich als "Ersatz-Gesetzgeber" auf. Das Bundesverfassungsgericht habe schließlich in den fast 60 Jahren seines Bestehens lediglich 619 Gesetze und Verordnungen von Bund und Ländern ganz oder teilweise aufgehoben.

Bei der Vielzahl entsprechender Bestimmungen bewege sich diese Zahl im Promillebereich. Nach Papiers Angaben ist die Zahl der beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfahren 2009 erneut gestiegen und überschritt mit 6508 erstmals die Marke von 6500. Erledigt wurden im vergangenen Jahr 5911 Verfahren. Erfolgreich waren davon aber nur 111 (1,88 Prozent). Die Erfolgsquote lag damit noch unter dem langjährigen Durchschnitt von rund 2,5 Prozent.

Wie Papier ausführte, ist inzwischen auch die Wirtschaftskrise juristisch in Karlsruhe angekommen. Verfassungsbeschwerden von Lehman- oder Phoenix-Geschädigten gingen ebenso ein wie von Betroffenen der Commerzbank oder der Hypo Real Estate.