Berlin. Wenn sich heute die Spitzen der Regierungsparteien im Kanzleramt zum Koalitionsausschuss treffen, dann ist das nur die erste von zwei Gelegenheiten, die Atmosphäre zu bereinigen. Denn morgen Abend lädt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut die beiden anderen Parteivorsitzenden zu sich ein. Gesprächsbedarf gibt es genügend. Die von Guido Westerwelle losgetretene Hartz-IV-Debatte dürfte beide Treffen aber dominieren, erwarten politische Beobachter. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm meinte gestern etwas mokant, er rechne nicht damit, dass das Thema Schneeschippen bei den anstehenden Gesprächen eine Rolle spiele, da es bereits einen umfangreichen Katalog an Sanktionsmöglichkeiten gebe, wenn Leistungsempfänger zumutbare Arbeit ablehnten.

Westerwelle hatte am Sonntag gefordert, "junge Sozialleistungsempfänger zum Räumen der Bürgersteige einzusetzen". Wilhelm empfahl dazu einen "Blick ins Gesetz", offenbar zielten Westerwelles Ideen auf eine "erkennbar parteipolitische Diskussion". Die FDP mahnte in der Hartz-IV-Debatte gestern hingegen eine klare Haltung von CDU und CSU an. Und dürfte sie heute erneut einfordern. Das Parteipräsidium pocht auf den Koalitionsvertrag, in dem ein Prüfauftrag zur Zusammenfassung der "vielfältigen und kaum noch überschaubaren steuerfinanzierten Sozialleistungen" und zur Einführung eines Bürgergeldes festgeschrieben wurde. Merkel, so erwartet man in Berlin, wird nicht umhinkommen, zumindest im kleinen Kreis ein Signal zu geben, wie es aus ihrer Sicht mit Hartz IV und dem Lohnabstandsgebot weitergehen sollte. Handlungsdruck kommt auch aus dem geschäftsführenden Vorstand der Unionsfraktion. Dort nahm man gestern die Berichte der aus den Wahlkreisen zurückgekehrten Abgeordneten zur Kenntnis, die an der Basis viel Zustimmung zu Westerwelles Thesen registriert hatten. Der Koalitionsausschuss könnte sich, so heißt es, heute darauf einigen, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein Konzept entwickeln soll, wie künftig verhindert werden kann, dass jemand, der arbeitet, am Ende weniger hat als jemand, der nicht arbeitet.

Dazu diskutiert wird beispielsweise eine Absenkung der vergleichsweise hohen Sozialabgaben für Geringverdiener, die die Nettolöhne nach unten drücken. Die Union könnte dann im Gegenzug von Westerwelle erwarten, dass er sich nicht länger als Oppositionspolitiker inszeniert, wie es ihm der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach im "Spiegel" vorgeworfen hat.

Wegen der inzwischen alles dominierenden Hartz-IV-Auseinandersetzung sind andere Themen in den Hintergrund gerückt. Der ewige Streit um die Steuerstrukturreform ist genauso vertagt wie die Reform der Gesundheitsreform, wegen der sich in dieser Woche erstmalig eine Regierungskommission zusammensetzen wird. Im Streit um die Zukunft der Kernenergie ist nach einer klaren Ansage aus dem Kanzleramt etwas Ruhe eingetreten. Nachdem Angela Merkel bereits am Wochenende vor den Vorfestlegungen von Norbert Röttgen (CDU) bei den AKW-Laufzeiten gewarnt hatte, wurde der Umweltminister gestern noch einmal vom Parteivorstand verwarnt, er solle keine isolierten Vorstöße in der Frage der Atomlaufzeiten mehr unternehmen und sich an den Koalitionsvertrag halten. Genau das hatte Westerwelle gefordert.

Röttgens Aussagen galten auch als Annäherung an die Grünen im Vorfeld der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, wo eine neue schwarz-gelbe Mehrheit unsicher ist. Dass die Kanzlerin Röttgen nun doch zurückgepfiffen hat, wird als Signal aufgefasst, dass Angela Merkel die Spekulationen um Schwarz-Grün und ein Abrücken von der FDP eindämmen will.

Das allerdings scheint auch nötig, denn bei den Liberalen ist das Misstrauen gegenüber der Union groß. Dazu trugen zuletzt auch Äußerungen der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) bei, die Westerwelle mehrfach attackiert und ihm vorgeworfen hatte, er schade sowohl der Regierung als auch der Politik insgesamt - bestimmt nicht ohne Rücksprache mit ihrem Parteivorsitzenden Horst Seehofer, der seit dem Regierungsstart mit Eifersucht auf die im Bundestag erstarkte FDP schaut. Wenn Seehofer morgen bei Merkel auf den Chefliberalen trifft, wird es da also einiges zurechtzurücken geben, auch wenn CDU-Generalsekretär Gröhe behauptet: "Das ist weder ein Krisengespräch noch ein Neustart."