Berlin. Nach den umstrittenen Äußerungen des Parteivorsitzenden Guido Westerwelle zu Hartz IV attackiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die FDP scharf. DGB-Vorstand Dietmar Hexel stellt im Abendblatt die Regierungsfähigkeit der Liberalen infrage. "Es liegt vor allem an der FDP, dass wir als Land so nicht richtig regierungsfähig sind", sagte Hexel. "Etwas sarkastisch: Wir können ja fast schon froh sein, dass es noch die CDU gibt und nicht nur die FDP."

Eine Woche, bevor die alle vier Jahre durchgeführten Betriebsratswahlen anlaufen, nimmt der DGB die Forderung von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nach einem Ehrenkodex für Betriebsräte aufs Korn. Hexel sagte: "Die FDP kennt anscheinend die Praxis der Betriebsräte gar nicht. Das ist auch ein politisches Ablenken von einem anderen Thema: der Managervergütung. Das ist ähnlich wie in der Diskussion um die Steuersünder-CD: Anstatt dass wir darüber reden, dass die Daten veröffentlicht werden, wird darüber diskutiert, dass es ja auch Hartz-IV-Missbrauch gibt. Das ist dieselbe Ablenkungsstrategie."

FDP-Chef Westerwelle hatte in der "Bild am Sonntag" junge Hilfeempfänger aufgefordert, beim Schneeschippen zu helfen. "Jeder, der jung und gesund ist und keine Angehörigen zu betreuen hat, muss zumutbare Arbeiten annehmen - sei es in Form von gemeinnütziger Arbeit, sei es im Berufsleben, sei es in Form von Weiterbildung." Als Beispiel nannte er Berlin. Dort sind nach Angaben der Stadtreinigung bereits rund 1500 Hilfskräfte im Wintereinsatz, viele von ihnen Hartz-IV-Empfänger.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nannten Westerwelles Äußerungen im "Tagesspiegel" "gefährlich" und "holzschnittartig". "Langzeitarbeitslosigkeit ist unser gemeinsames Problem, das wir auch gemeinsam lösen müssen. Die Mehrzahl der Menschen in Hartz IV will da raus", sagte von der Leyen. Einen massenhaften Missbrauch von Hartz IV gebe es nicht.

Auch im Koalitionsausschuss am Dienstag werden Westerwelles Tiraden ein Thema sein. Im Abendblatt kündigten die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und des Saarlandes, Wolfgang Böhmer und Peter Müller (beide CDU), an: "Es sollte auf mehr Sachlichkeit und weniger vordergründige Polemik geachtet werden. Das Ziel sollte ein solidarischer Konsens zwischen den Leistungserbringern und Leistungsempfängern sein und eine Einigung darüber, was wir uns unter den Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft im Zeitalter der Globalisierung gegenseitig schuldig sind", so Böhmer. Müller sagte: "Einmal mehr hat es ein Urteil aus Karlsruhe gebraucht, um ein wichtiges politisches Thema anzupacken. Mehrere saarländische Anläufe, bei den Hartz-IV-Sätzen für Kinder nachzubessern, sind am Widerstand der Bundesregierung - gleich welcher Farbe - gescheitert." Müller beklagte, dass die Politik sich vom Bundesverfassungsgericht nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen dürfe. "Gleich, wie das weitere Vorgehen nun aussieht: Das darf uns jetzt nicht noch mal passieren."