Krankenkassen kämpfen gegen Manipulation und Bestechung. Krankengymnasten und Apotheker fielen häufig auf. Der Schaden ist hoch.

Hamburg/Hannover. Eine Million Euro Schaden durch Betrügereien - das scheint nicht viel bei 167 Milliarden Euro, die die Krankenkassen pro Jahr für Ärzte, Operationen und Pillen ausgeben. Doch rechnet man auf alle Kassen hoch, was nur die KKH-Allianz (zwei Millionen Versicherte) aufgedeckt hat, ist man schnell bei 35 Millionen Euro Schaden.

Und da ist längst nicht Schluss: Der Vorstandschef der KKH-Allianz, Ingo Kailuweit, kalkuliert einen Gesamtschaden von sechs bis 20 Milliarden Euro durch Manipulationen. Denn die Dunkelziffer ist immens. "Betrug im Gesundheitssystem darf sich nicht lohnen und wird von uns konsequent verfolgt", sagte Kailuweit. "Wenn es ums liebe Geld geht, so ist ein wenig Illegalität durchaus erlaubt - so scheint die Botschaft zu lauten."

Im Betrugs-Report der Kasse (800 Fälle) fielen Krankengymnasten und Physiotherapeuten (228 Fälle) am häufigsten auf. Sie rechneten zum Beispiel Behandlungen ab, die gar nicht stattfanden. In einem Schummel-Fall war die Patientin nicht auf der Reha-Liege, sondern im Krankenhaus.

Den offiziell größten Schaden verursachten die Apotheker: In nur 67 Betrügereien wurde die KKH-Allianz um 270 000 Euro rechtswidrig erleichtert. Besonders beliebt bei den Apothekern sind sogenannte "Luftrezepte". Ein Arzt verschreibt ein teures Präparat, das der Patient nicht einlöst, sondern möglicherweise gegen ein Handgeld dem Apotheker aushändigt. Der rechnet ab, ohne dass Ware über den Tisch ging.

Bisweilen ist auch der Arzt eingeweiht und kassiert mit. Kassenchef Kailuweit sagte: "Die schwarzen Schafe der Branche sind dem Gesetzgeber immer einen Schritt voraus und entwickeln ständig neue Methoden." Besonders ausgeklügelt ist das "Geschäftsmodell" betrügerischer Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Bislang bezahlten Hörgeräteakustiker Geld an HNO-Ärzte, damit sie Patienten zu ihnen in die Läden schicken.

Seit die Akustiker nicht mehr zahlen, hätten manche HNO-Ärzte eigene Geschäfte gegründet, die über Ehepartner oder Treuhänder laufen. Der Arzt verdient dann an der eigenen Verordnung. "Wir lehnen solche Geschäftsmodelle wie die HNO-Ärzte-GmbH ethisch, moralisch und juristisch ab", sagt Jakob Stephan Baschab von der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker. "Die verschiedenen Leistungsbereiche klar voneinander getrennt zu halten dient dem Wettbewerb und dem Verbraucherschutz."

Peter Brammen von der Wettbewerbszentrale Hamburg sagte: "Wenn ein Arzt seine Patienten ohne hinreichenden Grund an einen bestimmten Anbieter verweist, verstößt er gegen das Berufsrecht. Ein Arzt darf durch seine Verordnungs- und Empfehlungspraxis keine Zusatzverdienste erzielen."

Kailuweit appellierte auch an die Ärzte, die schwarzen Schafe auszusortieren: Die Ehrlichen müssten "geschützt werden, nicht in diese Falle zu laufen". Sonst drohten sie das Vertrauen ihrer Patienten zu verlieren.

Nach einer Studie von Prof. Bernd-Dieter Meier, Jurist und Kriminologe an der Universität Hannover, gehören der Missbrauch der Krankenversicherungskarte und die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen zu den häufigsten Betrugsfällen. Kassenkarten würden einfach weitergereicht, damit sich nicht versicherte Patienten behandeln lassen können.

Allerdings würden nur zwölf Prozent der Betrüger zu Strafen verurteilt. Die restlichen Fälle enden mit Einstellung des Verfahrens oder Freisprüchen. Meiers ernüchterndes Fazit wendet sich sogar gegen den eigenen Berufsstand: In der Justiz und bei den Landeskriminalämtern gibt es wenig Hintergrundwissen über die komplizierten Regeln und Abrechnungswege im deutschen Gesundheitssystem.