Die Kanzlerin erlebt einen Winter des Missvergnügens. Und der hält mit der unkalkulierbaren und deshalb brandgefährlichen Hartz-IV-Debatte einen neuen Tiefpunkt bereit.

Angela Merkel wird nämlich erklären müssen, ob sie Guido Westerwelles Großangriff auf den ausufernden Sozialstaat teilt. Denn die Debatte hat jetzt eine Eskalationsstufe erreicht, die die Kanzlerin nicht ignorieren kann. Bürger, Partei und auch der Koalitionspartner haben ein Recht darauf zu erfahren, ob Merkel im Kern hinter der Kritik ihres Stellvertreters steht. Und sie wird diese Klarstellung nicht ihrem Generalsekretär oder dem Fraktionsvorsitzenden überlassen können. Merkel, die sich öffentlich so ungern festlegen lässt, kann dabei allerdings nur verlieren. Springt sie Westerwelle auch nur im Ansatz bei, riskiert sie Stimmenverluste bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Tut sie es nicht, werden die nächsten Monate noch unerfreulicher, was die Beziehung zur FDP anbetrifft.

Dagegen ist der Aufstand der Konservativen in der Union, die Merkel jetzt per Anzeige einen Linksruck vorwerfen, ein Klacks. Zwar ist es nicht zu unterschätzen, wenn sich der rechte Flügel Sorgen um das Profil und die Stammwählerschaft der Partei macht. Aber Merkel hat sich vom Bundesvorstand längst die Prokura für die Neuausrichtung der CDU geholt. Selbst hochrangige Parteifreunde, die sonst nicht immer Merkels Meinung sind, sehen in der Rückkehr zum alten Adenauer-Geist kein Rezept mehr für die Zukunft.

Merkels Einladung an die Kritiker, mit ihr in der Parteizentrale zu diskutieren, ist ein geschickter Schachzug. Das gibt den Aufständischen zumindest schon mal das Gefühl, angehört zu werden. Und angesichts des Ärgers in der Koalition kann Merkel an einer entspannten Atmosphäre zumindest in der eigenen Partei ja nur gelegen sein.