Berlin. Mehrere Opfer im Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg verlangen jetzt eine Entschädigung. Die Berliner Anwältin Manuela Groll, die neun Betroffene vertritt, sagte, dass es sich dabei um Summen zwischen 5000 und 10 000 Euro pro Fall handeln könnte. "Meine Mandanten sind mit einer Entschuldigung nicht zufrieden, sondern erwarten eine Entschädigung vom Orden", so Groll. Zunächst werde man jedoch abwarten, was der Orden dazu sage. "Eine außergerichtliche Einigung in dieser Sache wäre jedenfalls das richtige Zeichen für die Opfer", sagte Groll. Der Orden sollte eine Idee entwickeln, bevor eine Sache losgetreten werde, die nicht mehr zu beherrschen sei, betonte die Rechtsanwältin.

Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, räumte ein, dass es Entschädigungen geben könnte. "Über diese Frage muss aber die Ordensleitung in München oder gar in Rom befinden", sagte er. Er selbst habe im Augenblick keine Zeit, sich mit Entschädigungsforderungen zu befassen, betonte Mertes. Gegenwärtig gelte es, das Schiff durch die stürmische See zu steuern. "Es ist nicht entscheidend, ob diese Frage jetzt oder in zwei Monaten beantwortet wird", so Mertes.

Das vom Jesuitenorden geleitete Elite-Gymnasium in Berlin-Tiergarten war in die Schlagzeilen geraten, nachdem der Rektor vor zwei Wochen Missbrauchsfälle aus den 70er- und 80er-Jahren öffentlich gemacht hatte. Daraufhin wurden sexuelle Übergriffe auch an weiteren Jesuitenschulen bekannt. Inzwischen ist klar, dass es weit mehr Fälle gibt als bislang angenommen. Die vom Jesuitenorden eingesetzte Missbrauchsbeauftragte Ursula Raue sagte der Berliner Morgenpost, dass sich bislang mehr als 100 Opfer bundesweit bei ihr oder dem Orden gemeldet hätten. "Ich werde versuchen, noch in dieser Woche einen Zwischenbericht vorzulegen", sagte Raue.

Pater Klaus Mertes betonte, dass er von Anfang an davon ausgegangen sei, dass es sich um eine dreistellige Opferzahl handeln könnte. "Ich habe immer gesagt, dass es nicht um Einzelfälle geht, sondern eine gewisse Systematik hinter dieser Sache steckt", sagte Mertes. Dieser schrecklichen Wahrheit müsse sich der Orden stellen. Auf die Frage wie es weitergehen werde, verwies Mertes auf den Bericht von Ursula Raue. Abzuwarten bleibe auch, wie viele Opfer sich noch melden würden.

Anwältin Groll betonte indes, dass etliche Betroffene die Missbrauchsbeauftragte des Ordens nicht für die richtige Ansprechpartnerin hielten. "Frau Raue scheint noch immer davon auszugehen, dass es sich hier um Einzelfälle handelt", so Groll. Mandanten hätten ihr berichtet, dass sie sich von der Missbrauchsbeauftragten nicht angemessen behandelt fühlten. Viele hielten Ursula Raue zudem für befangen, weil sie vom Orden eingesetzt und bezahlt werde. Mertes brachte gestern erneut sein volles Vertrauen gegenüber Ursula Raue zum Ausdruck. "Frau Raue ist eine unabhängige Beauftragte des Ordens", sagte er.

Als Gründerin und Präsidentin des Vereins "innocence in danger", der seit Jahren gegen Kinderpornografie vorgehe, sei sie genau die Richtige für diese Aufgabe. "Die Opfer können sich natürlich wenden, an wen sie wollen. Frau Raue aber ist das Angebot des Ordens für all jene, die mit dem Orden sprechen wollen", betonte Mertes. Das Canisius-Kolleg sei die einzige Schule in Berlin, die bereits seit einigen Jahren eine unabhängige Anlaufstelle für die Meldung von Missbrauchsfällen habe.

Auch beim Bistum Hildesheim sind nach einem Appell von Bischof Norbert Trelle an bislang schweigende Opfer Hinweise auf zwölf weitere Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester eingegangen. Man habe unter anderem Hinweise auf den Missbrauch dreier Minderjähriger durch den Jesuitenpater Bernhard E. erhalten, teilte das Bistum gestern in Hildesheim mit. Der später in Berlin und Hamburg tätige Pater habe in den 70er-Jahren in der Jugendseelsorge in Hannover gearbeitet. Anfang Februar hatte das Bistum die Öffentlichkeit informiert, dass sich der Pater in den 90er-Jahren sexuelle Übergriffe an Jugendlichen erlaubt haben soll.