Hamburger Abendblatt:

Herr Scholz, Sie sind in der Großen Koalition Bundesarbeitsminister gewesen - hat Sie das Karlsruher Hartz-IV-Urteil überrascht?

Olaf Scholz:

Wie viele, die die Beratungen des Verfassungsgerichts genau verfolgt haben, bin ich nicht überrascht. Es ist ein weitreichendes und klares Urteil. Und es kommt politisch zur rechten Zeit. Alle Pläne wirtschaftsliberaler Ideologen in Wissenschaft und Politik, die Leistungen für Arbeitsuchende zu kürzen, sind nun ein für alle Mal gescheitert.

Abendblatt:

Muss Hartz IV jetzt insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden?

Scholz:

Die Entscheidung des Gerichtes führt sicher zu Erhöhungen der Regelsätze für Erwachsene und Kinder. Und das muss noch in diesem Jahr geschehen.

Abendblatt:

Das Bundesverfassungsgericht hat befunden, dass die Hartz-IV-Sätze nicht "den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Artikel 1 des Grundgesetzes" erfüllen. Was fehlt?

Scholz:

Die Höhe der Regelsätze kann nach dem Urteil auch in Zukunft anhand der Ausgaben vergleichbarer Haushalte berechnet werden. Aber das Gericht hat viele Einzelheiten der Berechnung infrage gestellt. Deshalb sind diese Berechnungsmethoden jetzt zu ändern. Sie müssen transparenter werden.

Abendblatt:

Was bedeutet das Urteil für das Sozialgefüge in Deutschland, also hinsichtlich der Abgrenzung zu den unteren Lohngruppen?

Scholz:

Die Löhne in den unteren Lohngruppen müssen steigen. Wir haben schon viel zu viele Arbeitnehmer, die viel zu wenig verdienen.

Und deshalb brauchen wir auch einen flächendeckenden Mindestlohn. Wer arbeitet, muss mehr verdienen, als er an öffentlicher Hilfe beanspruchen kann. Alles andere untergräbt die moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Arbeit muss sich lohnen.