Karlsruhe. Die Rituale stehen fest, wenn Hans-Jürgen Papier (66) sich setzt, um eines der wegweisenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu verkünden. Erst wird die Anwesenheit festgestellt: die Kläger, die Beklagten. Unter "Beklagte" bei Papiers Auftritten fanden sich in den vergangenen Jahren vermehrt prominente Bundesminister. Am Dienstag erhob sich Ursula von der Leyen (CDU), die Ressortchefin für Arbeit und Soziales, als Gerichtspräsident Papier und seine Mitrichter in den roten Roben eintraten.

Papier liest dann seitenweise Begründungen, Artikel, Paragrafen vor. Eine Litanei mit sachlichen Pointen, die wie bei den Urteilen zu Hartz IV oder vorher zur Pendlerpauschale die politische Landschaft erschüttern. Papiers Erster Senat und die gesamte Institution wird bald auf ihn verzichten müssen. Wann genau er geht, ist noch ungewiss. Es sind nur noch Wochen.

Papier kehrt nach beinahe zwölf Jahren an die Universität München zurück. Der Freiburger Top-Jurist Andreas Voßkuhle (46) soll sein Nachfolger werden. Papier kam auf Vorschlag der Union ins Amt. Doch die Ferne zu den Politikern ist allen Robenträgern in Karlsruhe mehr als Gebot. Die "Karlsruher" und die "Berliner" beäugen sich kritisch.

Papier entstammt der Familie eines Bäckermeisters und wurde mit 31 Jahren bereits Jura-Professor an der Universität Bielefeld, wo er bis zu seinem Wechsel nach München 1992 blieb.

In seine Karlsruher Zeit fielen Urteile wie die zum "genetischen Fingerabdruck" eines Straftäters (darf nur gespeichert werden, wenn weitere schwere Straftaten drohen), zur Pendlerpauschale, die die Große Koalition wieder ändern musste, zum Nichtraucherschutz, zu den Hürden für die Online-Durchsuchung, zur Nebentätigkeit von Bundestagsabgeordneten, zum Unterhalt für ledige Mütter, zur Pressefreiheit. Einmal im Jahr treffen sich die "Karlsruher" mit den "Berlinern" zur streng vertraulichen Plauderrunde. Da werden einige Minister aus dem Kabinett von Angela Merkel die Ratschläge Papiers vermissen.