Im Verfahren um die islamistischen Verdächtigen der Sauerland-Gruppe warnen Bundesanwälte vor dem “Krebsgeschwür Terrorismus“.

Hamburg. Ein größeres Terrorverfahren hat die Bundesrepublik seit den RAF-Prozessen nicht mehr erlebt: 530 Aktenordner "tapezieren" die Wände des Hochsicherheitsgebäudes, in dem das Oberlandesgericht Düsseldorf seit April 2009 gegen die islamistische Sauerland-Gruppe verhandelt. Datenmengen von 3,6 Terabyte sind auf 800 Datenträgern gespeichert, 134 Zeugen vernommen.

Bis zu zwei Jahre sollte der Prozess dauern - und ist nun doch nach neun Monaten schon in seine Abschlussphase getreten. Die Geständnisse der Angeklagten Fritz Gelowicz, Adem Yilmaz, Daniel Schneider und Atilla Selek haben es möglich gemacht. Gestern begann die Bundesanwaltschaft mit ihrem zweitägigen Plädoyer. Nicht einmal ein Jahr nach Prozessbeginn soll am 4. März bereits das Urteil gesprochen werden.

Die Bundesanwälte machten gestern noch einmal deutlich, dass in Deutschland mit der Verhaftung der Islamisten im September 2007 im Sauerland Anschläge ungeheuren Ausmaßes verhindert wurden. Die Angeklagten seien von einem unbändigen Hass und Freude am Massenmord getrieben gewesen und hätten auch nicht vor der Tötung unschuldiger Frauen und Kinder zurückgeschreckt, sagte Bundesanwalt Volker Brinkmann. Noch heute erfasse ihn ein Schaudern, wenn er an die Anschlagsvorbereitungen denke. Die Ermittlungen hatten gezeigt, dass sich rund um die Gruppe ein terroristisches Geflecht gebildet hatte, dem die Ermittler bis zu zwei Dutzend Verdächtige zugeordnet haben. Darunter auch der Bruder von Adem Yilmaz, Burhan.

Ausgebildet und instruiert in den Lagern der Islamischen Dschihad-Union (IJU) im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet wollten die Islamisten aus Deutschland Anschläge mit selbst gebauten Bomben aus Wasserstoffperoxid auf US-Einrichtungen wie etwa den Luftwaffenstützpunkt Ramstein, Gaststätten und Diskotheken unter anderem in Köln, Düsseldorf und München verüben. Ihr erklärtes Ziel war es, so viele Menschen wie möglich zu töten. Drei Autos sollten mit den Bomben ausgestattet werden. Anführer Gelowicz rechnete genau vor: "Wenn jeder 50 tötet, dann sind es 150." Er sagte im Prozess: "Ich war fest davon überzeugt, dass es klappen würde."

Dass sie während ihrer Vorbereitungen bereits im Visier der Fahnder waren, war den Angeklagten durchaus klar, hinderte sie aber nicht an ihrem Vorgehen. Nur den Austausch des hochexplosiven Stoffes, der den Ermittlern gelang, bemerkten sie nicht. Es sei die "drückende Beweislast" gewesen, die die 24 bis 31 Jahre alten Angeklagten unter anderem zu ihren Geständnissen bewegt hätten, sagte Bundesanwalt Brinkmann gestern.

Die Planungen der Islamisten hatten nach einem Hinweis der US-Geheimdienste die größte Polizeiaktion der deutschen Geschichte ausgelöst. Sechs Monate lang zeichneten bis zu 600 Fahnder jeden Spruch und jeden Schritt von Gelowicz, Schneider und Yilmaz auf. Komplize Selek wurde erst später in der Türkei festgenommen.

Die Angeklagten hätten mit ihren Geständnissen reinen "Tisch machen und sich selbst entlasten", aber auch "eine Strafmilderung erkaufen" wollen, sagte Brinkmann. "Selbst der überzeugteste Gotteskrieger will nicht im Gefängnis einsitzen und den Dschihad an sich vorbeiziehen lassen."

Die Geständnisse seien beeindruckend und eine absolute Ausnahme, sagte der Ankläger. Erstmals haben die Fahnder damit so etwas wie ein Handbuch einer islamistischen Gruppe. Von Reue hat Brinkmann allerdings bei den vier Islamisten nichts gespürt. "Emotionale Regungen sind ihnen fremd", sagte er.

Brinkmann lobte in seinem Plädoyer die Arbeit der Nachrichtendienste. Bei der allgegenwärtigen und schwer fassbaren Bedrohung durch die Islamisten seien sie unverzichtbar. Er warnte vor dem "Krebsgeschwür des islamistischen Terrorismus".

Welche Strafen sie für die vier Angeklagten fordern werden, werden die höchsten Ankläger erst heute vortragen. Zehn bis 15 Jahre drohen Gelowicz, Selek und Yilmaz für die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, die Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens sowie Verabredung zum Mord. Schneider ist zudem wegen versuchten Mordes angeklagt, weil er bei seiner Festnahme dem Polizisten seine Waffe entriss und sich dabei ein Schuss löste. Schneider hatte in den vergangenen Wochen immer wieder beteuert, es sei nie seine Absicht gewesen, auf den Polizisten zu schießen. Zum Abschluss der Beweisaufnahme räumte er am Dienstag dann doch ein, dass das Gerangel "einen tödlichen Ausgang" hätte nehmen können.