Erfurt. Die Wirtschaftskrise wird 2010 auch das oberste deutsche Arbeitsgericht erreichen und zu einer Klageflut führen. Darauf deute die "dramatische Zunahme" von Verfahren vor den unteren Instanzen hin, sagte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, in Erfurt. Das Plus betrage in manchen Gerichtsbezirken bis zu 30 Prozent. "Die Klagewelle wird bei uns gegen Ende des Jahres anlanden", prophezeite sie. Am 10. Juni werden die Bundesrichter zudem über den Fall der Berliner Kassiererin "Emmely" entscheiden.

Die Frau war wegen angeblicher Unterschlagung zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro nach mehr als 30 Jahren Betriebszugehörigkeit im Februar 2008 entlassen worden. Das Landesarbeitsgericht Berlin hatte ihre Kündigungsschutzklage wegen des zerstörten Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgewiesen und eine Revision ausdrücklich ausgeschlossen.

Dagegen hatte sich die Frau erfolgreich mit einer sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde an das BAG gewandt. Der Fall löste eine breite öffentliche Debatte über die Verhältnismäßigkeit solcher Entscheidungen aus - vor allem im Lichte großzügiger Abfindungen für Manager.

Im Zusammenhang mit solchen Bagatellkündigungen wie im Fall "Emmely" nahm Schmidt ihre Richterkollegen gegen Kritik in Schutz. "Die Arbeitsgerichte schauen ganz genau hin, sie schauen nicht weg", betonte die Gerichtspräsidentin. Es finde immer ein sehr komplexer Abwägungsprozess statt, und es gebe keinen Automatismus in den Entscheidungen etwa zum Nachteil der Arbeitnehmer. Die Diskussion müsse aber vor allem in der Gesellschaft geführt werden und nicht in den Gerichtssälen.

Mit Blick auf die Lohndumping-Vorwürfe im Zusammenhang mit Leiharbeit bei der Drogeriemarktkette Schlecker spielte die oberste deutsche Arbeitsrichterin den Ball zurück und rief die Politik dazu auf, Lösungen zu finden: "Das ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung."

In der Arbeit des BAG im Jahr 2010 wird sich nach Worten Schmidts zudem die Veränderung in der Tariflandschaft des öffentlichen Dienstes bemerkbar machen. Darüber hinaus stünden für ihre Richterkollegen in den kommenden Monaten auch "Klassiker" an wie etwa unklare Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu Weihnachtsgeld oder Bonuszahlungen.

Im Jahr 2009 gingen insgesamt 2322 Verfahren in Erfurt ein, 293 weniger als noch im Jahr zuvor. Den Löwenanteil mit fast 25 Prozent der Eingänge im vergangenen Jahr machten Streitigkeiten über Kündigungen und befristete Arbeitsverhältnisse aus. In knapp 15 Prozent der Fälle ging es ums Geld, rund 13 Prozent der Eingänge betrafen Verfahren zur Betriebsverfassung und zur Personalvertretung. Die Zahl der am Jahresende noch nicht erledigten Verfahren sank leicht auf 1673.