Berlin/Hamburg. Trotz Praxisgebühr und Hausarztmodellen: Die Zahl der Arztbesuche in Deutschland hat einen neuen Rekord erreicht. Jeder Kassenpatient ging 2008 im Schnitt 18-mal zum Arzt. Das ist ein Zuwachs von zwei bis drei Prozent, wie aus einer gestern veröffentlichten Auswertung der Barmer GEK hervorgeht, die auf Hochrechnungen basiert. Statistisch gesehen behandeln die knapp 150 000 niedergelassenen Ärzte in Deutschland danach 45 Patienten pro Tag, sodass gerade einmal acht Minuten Zeit für jeden Einzelnen bleiben.

Die Barmer GEK wertete die Zahlen als Beweis für das breite Angebot und die hohe Akzeptanz der ambulanten Versorgung in Deutschland, forderte aber eine bessere Steuerung. Die Entwicklung lasse auf "Drehtüreffekte und Doppeluntersuchungen" schließen, sagte der stellvertretende Vorstandschef der neuen Groß-Kasse, Rolf-Ulrich Schlenker. Daran habe auch die Praxisgebühr nichts geändert.

"Durchschnittlich 224 Patientenkontakte pro Woche, 45 Patienten pro Werktag und Kontaktzeiten von rund acht Minuten zeigen im internationalen Vergleich eine doppelt so hohe Besuchsfrequenz", sagte Schlenker. Würden sich die Ärzte bei den einzelnen Patienten mehr Zeit lassen, wären sicherlich etliche Folgetermine überflüssig.

"Die Wirkung der Praxisgebühr ist fraglich und die grundsätzlich sinnvolle hausarztzentrierte Versorgung steckt in der Sackgasse", sagte Schlenker weiter. Vertragsfreiheit und verbindliche Qualitätsziele seien nötig: "Mit dreiseitigen Vereinbarungen zwischen Krankenkassen, Hausärzteverbänden und Kassenärztlichen Vereinigungen können wir den gordischen Knoten lösen." Eine Abschaffung der Praxisgebühr sieht die Barmer GEK dennoch skeptisch. Ob diese die Zahl unnötiger Arztbesuche reduziere, sei längst zweitrangig, sagte Schlenker. Mit knapp zwei Milliarden Euro pro Jahr habe sie ein Volumen erreicht, das schwer ersetzbar sei. Wer die Gebühr abschaffen wolle, müsse sagen, woher die Einnahmen kommen sollten.

International sind die Deutschen bei der Zahl der Arztbesuche weiterhin Spitze. In keinem anderen Land gingen die Menschen so häufig zum Arzt, heißt es in dem Report. Lediglich aus Japan würden ähnliche Zahlen gemeldet. Zum Vergleich: In den USA wurden dem Bericht zufolge 2006 nur 3,8 Arztbesuche pro Kopf und Jahr registriert. In Schweden sind es nur knapp dreimal, in Belgien, Dänemark, Frankreich, Österreich und Polen sind es jeweils etwa sieben Arztbesuche im Jahr.

Die Barmer GEK hatte die ambulanten Daten von 1,7 Millionen Versicherten der ehemaligen Gmünder Ersatzkassen (GEK) ausgewertet und auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. 2008 suchten 92,9 Prozent der Bundesbürger mindestens einmal ärztlichen Rat. Häufigste Diagnosen: Rückenschmerzen (26 Prozent), Bluthochdruck (25,4) und Sehstörungen (21,5).