Überlingen. Hamburger Abendblatt:

Frau Ministerin, was wünschen Sie den Hamburger Studenten zu Weihnachten?

Annette Schavan:

Ich gratuliere ihnen vor allem dazu, dass sie in Hamburg studieren. Denn der Senat hat große Pläne, die Hamburg neben starker Forschung auch zu einem starken Standort fürs Studieren und für die Lehre macht. Ich wünsche ihnen, dass sie diese Chancen gut nutzen werden.

Abendblatt:

Stellen Sie sich auf weitere Bildungsproteste ein im neuen Jahr? Oder gibt es dafür keinen Grund?

Schavan:

Nach wichtigen Initiativen zur Stärkung der Forschung kommt jetzt die Phase, in der wir uns konsequent für die Verbesserung der Lehre einsetzen müssen. Es darf in dem System nicht nur belohnt werden, wer exzellent forscht. Hochschullehrer brauchen auch Anreize für gute Qualität in der Lehre. Die Lehre darf nicht gleichsam zur Bad Bank der Hochschule werden.

Abendblatt :

Die Studenten fordern eine Generalrevision der Bologna-Reform.

Schavan:

Ausländische Kollegen rufen mich schon an und fragen: Was ist bei euch los? Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, ist es notwendig, das Hochschulsystem grundlegend zu verändern. Die Bologna-Reform ist ein großes internationales Projekt, das für Studierende in Deutschland große Chancen bietet. Korrekturen sind beschlossen und werden umgesetzt, aber eine Generalrevision wird es nicht geben.

Abendblatt:

Was wird aus den Studiengebühren?

Schavan:

Studiengebühren sind international üblich. Sie sind auch gerecht. Niemand spricht in Deutschland darüber, dass der Handwerker, der den Meistertitel erwerben will, viel Geld ausgeben muss. Warum sollten Akademiker die Einzigen sein, die bis zum Tag des Examens nichts zahlen?

Abendblatt:

Wünschen Sie den Hamburger Studenten auch eine neue Universität im Hafen?

Schavan:

Das ist ein tolles Projekt! Die Verlagerung der Universität in den Hafen würde eine enorme Ausstrahlung in Europa haben.

Abendblatt:

Welchen Wunsch haben Sie für die Hamburger Schüler und ihre Eltern?

Schavan:

Mein bildungspolitischer Wunsch für Hamburg und unser Land insgesamt ist, dass uns bald gelingt, über die Substanz von Bildung und Erziehung zu diskutieren: über Bildungsinhalte und Bildungsziele. Der Konsens darüber ist Voraussetzung für alle anderen Debatten in der Bildungspolitik.

Abendblatt:

Die schwarz-grüne Schulreform zielt vor allem auf die Veränderung der Struktur, Stichwort: sechsjährige Grundschule. Haben Sie Sympathie für die Unterschriftensammlung der Reformgegner?

Schavan:

(lacht) Nächste Frage! Nein, im Ernst: Die Debatte wird in Hamburg entschieden.

Abendblatt:

Die sechsjährige Grundschule gehört nicht gerade zum Kernbestand christdemokratischer Bildungspolitik.

Schavan:

Das ist wahr. Aber Sie werden von mir keinen Debattenbeitrag zur bildungspolitischen Situation in Hamburg hören.

Abendblatt:

Ihr Weihnachtswunsch für die Bundeskanzlerin?

Schavan:

Tage zum Durchatmen nach ungewöhnlich anstrengenden zwölf Monaten.

Abendblatt:

Wie wäre es mit Führungsstärke?

Schavan:

Verstehe ich nicht.

Abendblatt:

Um ein Haar hätten Ministerpräsidenten der CDU gleich das erste Projekt der schwarz-gelben Bundesregierung gekippt. Es musste viel Geld fließen, bevor die Zustimmung zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz gesichert war. Das spricht nicht gerade für die Überzeugungskraft von Angela Merkel ...

Schavan:

Bei der Konferenz mit den Ministerpräsidenten ist vor allem über mehr Geld für Bildung und Hochschulen gesprochen worden. Das ist eine positive Nachricht, die zeigt, dass Angela Merkel das Projekt Bildungsrepublik Deutschland fest im Blick hat.

Abendblatt:

Können Sie erklären, warum die Regierung ohne Rücksicht auf den Zustand der öffentlichen Haushalte die Steuern senken will?

Schavan:

Die Krise verlangt neues Wachstum. Dafür müssen Anreize gesetzt werden. Das verbinden wir mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz.

Abendblatt:

Alle Sachverständigen bezweifeln, dass sich etwa mit einer Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers das Wachstum beschleunigen lässt. Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?

Schavan:

Aus anderen Punkten im Wachstumsbeschleunigungsgesetz, etwa der Förderung von Familien.

Abendblatt:

Sind weitere Entlastungen in dieser Wahlperiode zu verantworten?

Schavan:

Es wird im Mai eine neue Steuerschätzung geben. Daraus wird sich die weitere Entlastung ableiten lassen.

Abendblatt:

Wenn Sie die Schuldenbremse im Grundgesetz ernst nehmen, wird es kaum Spielraum geben ...

Schavan:

Die ersten 100 Tage dieser Regierung sind nicht einmal um. Man sollte den Tag auch nicht vor dem Abend schelten. Steuersenkungen und gezielte Investitionen in Infrastruktur, in Bildung und Forschung haben zum Ziel, neues Wachstum zu ermöglichen. Es hat keinen Sinn, jeden Tag danach zu fragen, ob die Rechnung aufgeht oder nicht.

Abendblatt:

Sie werden sich Gedanken über Einsparungen machen müssen.

Schavan:

An der Bildung jedenfalls nicht. Da wird nicht nur nicht eingespart, sondern wesentlich mehr investiert.

Abendblatt:

Wo soll dann gespart werden?

Schavan:

Je mehr Qualifizierung in diesem Land möglich wird, desto mehr Chancengerechtigkeit gibt es. Und umso mehr kann in den Sozialhaushalten eingespart werden. Unsere Sozialhaushalte werden sich positiv entwickeln, wenn der Anteil jener ohne Qualifikation gesenkt wird.

Abendblatt:

CDU, CSU und FDP streiten auf vielen Feldern um Details. Wo ist die große Vision, die diese Regierung zusammenhält?

Schavan:

Die große Vision dieser Regierung steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit weltweiten Krisen, die uns abverlangen, es nicht mehr jedem recht machen zu können. Wir müssen Veränderungen einfordern, die für die Menschen anstrengend sind. Der Kopenhagen-Gipfel hat das auf unübersehbare Weise gezeigt. Es sind keine gemütlichen Zeiten.

Abendblatt:

Das Scheitern von Kopenhagen hat auch Merkels Ruf als Klimakanzlerin beschädigt ...

Schavan:

Keineswegs. Deutschland hat auf dem Gipfel sehr klar Position bezogen und wird außerdem in Bonn die nächste Klimakonferenz ausrichten.

Abendblatt:

Soll Deutschland im Alleingang das Klima schützen, wenn die anderen nicht mitziehen?

Schavan:

Das Ergebnis von Kopenhagen ist enttäuschend. Es darf aber nicht zu einer resignativen Stimmung führen, nach dem Motto: Wenn schon so eine große Konferenz nichts erreicht, dann stellen wir das Thema besser auch weg. Die Enttäuschung von Kopenhagen muss Kräfte freisetzen, die notwendigen Ziele zu erreichen. Dabei spielen Forschung und technologische Entwicklung eine große Rolle.

Abendblatt:

Im Koalitionsvertrag haben Union und FDP festgelegt, den Kohlendioxidausstoß um 40 Prozent zu verringern - mehr als jeder andere Staat. Bleibt es dabei?

Schavan:

Wir wussten, was wir taten, als wir das 40-Prozent-Ziel im Koalitionsvertrag verankert haben. Deutschland wird auf seinem Weg weitergehen und den CO2-Ausstoß konsequent senken. Das ist für mich als Christdemokratin eine Frage der Bewahrung der Schöpfung. Und als Industriestaat haben wir eine besondere Verantwortung.

Abendblatt:

Was unternehmen Sie?

Schavan:

In wenigen Wochen werde ich ein Rahmenprogramm Nachhaltigkeit vorstellen. Die Bundesregierung ist bereit, in den nächsten sechs Jahren rund zwei Milliarden Euro in Klima- und Nachhaltigkeitsforschung zu investieren. Das wird ein Schwerpunkt unserer Forschungspolitik. In Deutschland arbeiten Wissenschaftler, die zur internationalen Elite gehören und wichtige Grundlagen schaffen können.

Abendblatt:

Konkret?

Schavan:

Es geht um Projekte zur Umwandlung und Nutzung von CO2, auch um bessere Landnutzungskonzepte. Wir fördern innovative Wasser- und Batterietechnologien. Außerdem werden wir neue Forschungsschiffe mit modernster Technologie einsetzen. Wir werden auch mit anderen Industrie- und Schwellenländern kooperieren, etwa mit Brasilien.

Abendblatt:

Was wünschen Sie Ihrer Partei zu Weihnachten?

Schavan:

Freude an der Weihnachtsbotschaft. Das C im Namen bleibt Stachel im Fleisch der Partei. Es gibt uns Orientierung über den Tag hinaus. Weihnachten ist eine gute Zeit, in der sich Christdemokraten an das geistige Fundament ihrer Arbeit erinnern können.

Abendblatt:

Bei der vergangenen Bundestagswahl hat die Union überproportional im katholisch geprägten Süden verloren. Eine Aufforderung, das C wieder stärker zu betonen?

Schavan:

Das C ist ja keine Beruhigungspille. Deshalb muss uns auch jetzt unser Profil als Christdemokraten beschäftigen.

Abendblatt:

Halten Sie es für möglich, dass sich eine christlich-konservative Partei von der Union abspaltet?

Schavan:

War Jesus ein Konservativer? Ich bin eher dafür, leidenschaftlich darüber zu streiten, ob christlich und konservativ wirklich so eine große Nähe haben. Christentum war immer auch eine starke Kraft für Veränderung. Große historische Aufbrüche haben zu tun mit dem Mut von solchen, die wir heute als Heilige verehren. Benedikt oder Franziskus haben sich nicht als Konservative begriffen.

Abendblatt:

Manche katholischen Bischöfe schätzen die Grünen inzwischen mehr als die CDU. Ein Grund zur Sorge?

Schavan:

Nein. Die CDU hat nie ein Monopol für christliche Politik beansprucht. Zugleich wissen die Kirchen, was sie an uns haben.

Abendblatt:

Was wäre ein passendes Motto für die CDU 2010? Alles bleibt neu?

Schavan:

Jedenfalls steht die CDU für weitere Modernisierung. Der Veränderungsbedarf ist heute so gravierend wie vor 100 Jahren. Damals ist Neues entstanden, jetzt wird wieder Neues entstehen. Die CDU braucht Kraft für Neues, ohne dabei ihre Identität zu verlieren.

Abendblatt:

Wie verbringen Sie die Weihnachtstage und den Jahreswechsel?

Schavan:

Weihnachten bin ich im Rheinland bei meiner Mutter und meinen Geschwistern. Wir kochen zusammen. Es gibt festliches Essen mit Fisch, den ich vom Bodensee mitbringe, und der traditionellen Gans, die mein Bruder vorbereitet. Meine Nichte und ich lesen weihnachtliche Texte. Zur Jahreswende bin ich wieder am Bodensee, in dieser besonderen Landschaft.