Parteichef greift bei seiner Rede im Landtag die Jamaika-Koalition an und verliert kein Wort über seine Erkrankung.

Berlin. Keine besonderen Vorkommnisse, diesen Eindruck versuchte der derzeit allein amtierende Linke-Fraktionschef Gregor Gysi zu erwecken. Er hatte gestern Nachmittag zu einer Pressekonferenz geladen, um die Klausur der Bundesregierung in Meseberg zu kommentieren.

Doch die Aufmerksamkeit der Medien war ins Saarland gerichtet. Denn dort, im saarländischen Landtag, hatte Oskar Lafontaine mittags seinen großen Auftritt. "Letzter Lafontaine-Auftritt vor Krebs-OP" untertitelte ein TV-Sender die Rede. Erst tags zuvor hatte der Linke-Parteichef bekannt gegeben, dass er an Krebs erkrankt ist. Heute wird er in der Saar-Uniklinik in Homburg bereits operiert. Dem Vernehmen nach handelt es sich um Prostatakrebs.

Gestern gab sich Lafontaine kämpferisch. Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hatte zuvor in seiner ersten Regierungserklärung nach der Wahl angekündigt, ein "wirtschaftlich starkes, ökologisch vorbildliches und sozial gerechtes Saarland" schaffen zu wollen. Das Saarland solle zudem zu einem Land "unbegrenzter Bildungs- und Aufstiegschancen" entwickelt werden. Die von ihm geführte Jamaika-Koalition, die erste auf Landesebene, sei ein Beweis für das Ende des traditionellen politischen Lagerdenkens, sagte Müller.

Lafontaine, der durch seine Attacken gegen die Saar-Grünen im Wahlkampf zum Zustandekommen dieser ungewöhnlichen Konstellation beigetragen hatte, kritisierte die neue Regierung scharf. "Wir hören da liebliche Erklärungen, aber keine Vorschläge", sagte er vor dem Landtag. Das Bündnis gebe keine Antworten auf die Finanzprobleme des Landes. Vor und während seiner Rede wirkte Lafontaine gefasst, Sorgen wegen der bevorstehenden Operation waren ihm nicht anzumerken. Seine Erkrankung erwähnte er mit keinem Wort. Zu seinen stärksten Auftritten zählte die Rede dennoch nicht. Mal verhaspelte er sich, dann verlor er kurzfristig den Faden, wirkte angestrengt.

In seiner Partei gärt es derweil. Während die Südwest-Linke erklärte, Lafontaine sei derzeit "unverzichtbar" für die Partei, waren aus Thüringen ganz andere Töne zu hören. Die Partei müsse sich gezielt auf die Zeit nach Oskar Lafontaine vorbereiten, unabhängig von der Erkrankung des Parteichefs, befand der thüringische Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow. "Es muss sowieso ohne Lafontaine gehen. Das hat nichts mit seiner Krebsoperation zu tun", sagte Ramelow der "Leipziger Volkszeitung". Er fügte hinzu: "Bei einem Lebensalter von 66 Richtung 67 bei Lafontaine muss man sich als Partei auf den Wechsel vorbereiten."

Einmal mehr sorgt Ramelow mit diesen Worten für Unruhe bei den Linken - auch wenn er sich gestern Abend leicht korrigierte, indem er sagte: "Ich gehe davon aus, dass sich Oskar Lafontaine nach seiner Operation so gut erholt, dass er in den kommenden zwei Jahren weiterhin den Vorsitz führt." Schon Ramelows Versuch, um nahezu jeden Preis in Thüringen eine Regierungsbeteiligung zu erzielen, war umstritten. Der stellvertretende Parteivorsitzende Klaus Ernst stellte nun unmissverständlich klar: "Ich kann alle in der Partei nur davor warnen, jetzt Personaldebatten zu beginnen." Dafür gebe es keinen Grund, sagte Ernst. "Das wäre schädlich für die Linke und außerdem moralisch verwerflich." Auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi ging auf Distanz zu Ramelow: "Herr Ramelow kann ja schon über alles nachdenken, aber das ist eine Frage, die mich im Augenblick, ehrlich gesagt, nicht sonderlich bewegt." Hinter vorgehaltener Hand spekuliert man jedoch schon darüber, wer die Vakanz an der Parteispitze füllen könnte - wenn sie denn entstünde. Linke-Geschäftsführer Dietmar Bartsch wird genannt, Parteivize Katja Kipping oder auch Bodo Ramelow.