Berlin. Deutschland hat das Ziel, bereits im kommenden Jahr die ersten Soldaten aus dem Norden Afghanistans abzuziehen. Dies sagte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gestern überraschend am Rande eines Treffens der EU-Verteidigungs- und Außenminister in Brüssel. Ob das Ziel erreicht werde, hänge aber davon ab, ob die dafür nötigen Voraussetzungen erfüllt werden könnten.

"Wir hören, dass es in der Nato diese Zielsetzung gibt, dass man auch die Übergabe in Verantwortung darstellen kann", sagte Guttenberg. "Diese Zielsetzung teilen wir grundsätzlich." Bedingung seien aber konkrete Fortschritte vor Ort. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bestätigte: "Ich halte es für realistisch, den Prozess der Übergabe von Sicherheitsverantwortung nächstes Jahr in bestimmten Gebieten und Bezirken zu beginnen, wo es die Bedingungen zulassen."

Ob dazu auch Teile des Einsatzgebiets der Bundeswehr im Norden Afghanistans gehören, wollte Rasmussen nicht bestätigen: "Es ist noch ein bisschen zu früh, sich auf bestimmte Bezirke festzulegen."

Guttenbergs Antwort bezog sich indes konkret auf Nordafghanistan. Eine Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte müsse aber "an Kriterien gebunden sein, und diese Kriterien müssen erfüllt sein", schränkte der Verteidigungsminister ein.

Rasmussen betonte, insgesamt würden in Afghanistan mehr Soldaten benötigt als bisher. "Insbesondere brauchen wir Ressourcen für die Schulung afghanischer Sicherheitskräfte. Wir brauchen Ausbilder, Ausrüstung, wir brauchen Geld, um die wachsende Anzahl afghanischer Sicherheitskräfte zu finanzieren", so der Nato-Generalsekretär.

Die Opposition zeigte sich grundsätzlich aufgeschlossen für Guttenbergs neue Pläne. Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete und Verteidigungsexperte Johannes Kahrs sagte dem Abendblatt: "Wenn das geht - bitte! Aber es wäre natürlich interessant zu erfahren, wie diese Wende zustande gekommen ist. Bisher haben der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung, die Kanzlerin und Karl-Theodor zu Guttenberg ja immer gesagt, dass man sich auf einen Rückzugsbeginn nicht festlegen könne."

Die afghanische Regierung kündigte unterdessen einen dritten Anlauf zur Bekämpfung der Korruption an. Afghanische Kabinettsmitglieder versicherten auf einer Pressekonferenz in Kabul, dieses Mal seien die Erfolgsaussichten wegen der starken internationalen Unterstützung und eines echten Erfolgswillen besser. Eine spezielle Einheit soll gegen Bestechung, Günstlingswirtschaft und Korruption vorgehen. Die afghanische Regierung steht international unter erheblichem Druck, die Korruption einzudämmen. Der afghanische Innenminister Hanif Atmar sagte, die neue Einheit sei mithilfe amerikanischer und britischer Polizeibehörden sowie Interpols aufgebaut worden. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte am Sonntag mit einer Streichung der Hilfsgelder für Afghanistan gedroht, wenn Kabul nicht über die Verwendung des Geldes Rechenschaft ablege.

Die erste Antikorruptionsabteilung Afghanistans wurde aufgelöst, nachdem ihr Chef in den USA wegen Rauschgiftdelikten angeklagt worden war. Die zweite wurde im Sommer vergangenen Jahres mit großen Versprechungen gegründet, die Korruption im Staatsapparat blieb aber eines der größten Probleme Afghanistans.

Der Kommandeur der französischen Truppen in Afghanistan, Brigadegeneral Marcel Druart, entging gestern nur knapp einem Anschlag militanter Extremisten. Während eines Besuchs Druarts in der Stadt Tagab schlugen auf dem Marktplatz zwei Raketen ein, dabei wurden nach Militärangaben mindestens zwölf Zivilpersonen getötet.