Hamburg. In der Krise den Leuten mehr Geld für den Konsum lassen oder erst den Haushalt in Ordnung bringen? Die Gelehrten streiten noch. Union und FDP wollen der Konjunktur unterdessen per Gesetz auf die Sprünge helfen. Gestern brachte das Bundeskabinett das Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den Weg und damit bereits das dritte Konjunkturpaket innerhalb eines Jahres. Von ihm sollen bereits ab Januar Familien, Unternehmen, Erben und die Hotelbranche profitieren. Insgesamt dürfen sie mit Steuerentlastung von jährlich bis zu 8,5 Milliarden Euro rechnen. Allein die Familien sollen ab Januar jährlich rund 4,6 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben. So soll der Kinderfreibetrag von 6024 auf 7008 Euro, das monatliche Kindergeld um jeweils 20 Euro erhöht werden. Weitere Entlastungen sind bei der Erbschafts- und Unternehmenssteuer vorgesehen. Zudem soll für Übernachtungen in Hotels und Gaststätten künftig der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gelten.

Die Steuersenkungen waren angesichts der wachsenden Staatsschulden und einer starken Belastung der Länderhaushalte schon im Vorfeld in die Kritik geraten. Zahlreiche Ministerpräsidenten beschwerten sich, dass die Länder durch die Senkungen zu stark belastet werden. Zudem sitzt die EU-Kommission der Regierung im Nacken. Brüssel pocht darauf, dass Deutschland wie andere Mitgliedstaaten ab 2011 mit dem Sparen beginnen müsse. In Brüssel wurde eine Erklärung von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwartet, wie dies mit den Steuersenkungen der neuen Koalition in Einklang gebracht werden kann. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm liefert bereits eine. "Steuerpolitik ist Wachstumspolitik", verteidigte er gestern die schwarz-gelben Pläne. Es sollen Spielräume und zusätzliche Impulse für mehr Investitionen und Konsum geschaffen werden.

Ob das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hält, was sein Name verspricht? Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft ist skeptisch. "Wenn es um Wachstumsbeschleunigung geht, ist die Erhöhung des Kindergeldes nicht prioritär", sagte er dem Abendblatt. Stattdessen hätte man in Hüthers Augen sehr umfassender und konsequenter die unternehmensbelastenden Effekte bei der Unternehmenssteuer reformieren sollen.

Auch bei der Opposition stieß das schwarz-gelbe Vorhaben auf Kritik. "Schwarz-Gelb betreibt reine Klientelpolitik. Die Steuern sollen für Reiche gesenkt werden, wachsende Kinderarmut nimmt Schwarz-Gelb billigend in Kauf", sagte die Grünen-Vorsitzende, Renate Künast, der "Passauer Neuen Presse". So werde laut Künast vom erhöhten Kindergeld kein Cent bei Hartz-IV-Beziehern landen. Der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß nannte das Paket "eine dreiste Mogelpackung und ein unverantwortliches finanzpolitisches Abenteuer".

Mit dem Vorhaben von Union und FDP wachse nicht das Steueraufkommen, sondern die öffentliche Armut, kritisierte auch Claus Matecki, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). An die sich selbst finanzierende Wachstumswirkung glaube laut Matecki außer Union und FDP nahezu niemand. Zwar schaffe das Gesetz "ein Stück mehr Familiengerechtigkeit", erklärte der Deutsche Caritasverband. Allerdings dürfe die Regierung nicht die armen Eltern vergessen.

Während die Opposition und Verbände noch die ersten Steuersenkungen kritisierten, stritten Union und FDP bereits wann und wie die nächsten umgesetzt werden sollen. So streben sie Entlastungen von jährlich bis zu 24 Milliarden Euro an. Die FDP pocht vehement auf eine Einkommenssteuerreform, Finanzminister Schäuble will sich nicht festlegen. Er ließ offen, ob es für die FDP-Forderung genug Spielraum geben werde. "Der Koalitionsvertrag gilt", versicherte er zwar. Über Einzelheiten müsse aber noch geredet werden müsse.