Beim Erben und Vererben haben Familien und Finanzämter die Rechnung oft ohne die Politik gemacht. Ein Experte klärt auf.

Hamburg. Es klingt skurril, ist aber eine gefühlte Wahrheit von Experten und Bürgern: Wenn die Tage kürzer werden und Weihnachten näher rückt, kommt ein ernsthaftes Steuerthema in jeder Familie auf den Tisch: Wer kriegt mal was? Soll man mit der warmen Hand schenken oder mit der kalten vererben?

Und: Welche Steuern werden fällig, wenn ich „Oma ihr klein’ Häuschen“ (Ex-Finanzminister Peer Steinbrück) erbe? Nach der Erbschaftssteuerreform der Großen Koalition schien alles in Butter. Kinder können mehr erben, ohne an den Fiskus zu zahlen, gleichgeschlechtliche Partner werden nicht mehr diskriminiert.

Doch diese Reform muss schon wieder reformiert werden. Aus der Praxis ergeben sich auch für Otto Normalerben Schwierigkeiten, sagt Prof. Klaus Michael Groll (Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht e.V.) im Interview:

Abendblatt: Herr Prof. Groll, die neue schwarz-gelbe Bundesregierung will die Reform der Erbschaftssteuer ändern. Was muss sich aus Experten- und Praxissicht für Familien und Unternehmen ändern?

Klaus-Michael Groll: Geschwister, Neffen und Nichten gehören zur engsten Familie, deshalb sind die Freibeträge zu niedrig, die Steuersätze zu hoch. Die Freibeträge müssten mindestens auf Enkelebene angehoben werden (200 000 Euro), der Eingangssteuersatz dürfte höchstens bei 10 Prozent liegen, der Höchststeuersatz bei 30 Prozent. Die Erbschaft- und Schenkungsteuerregelung für die Betriebsnachfolge ist vollkommen misslungen. Unzumutbare Bürokratie. Sie ist weder vom Unternehmer noch von der Finanzverwaltung zu bewältigen. Abgeschafft gehören auf jeden Fall die Lohnsummenklausel und die für die Steuer sehr folgenreiche Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Produktivvermögen, eine Unterscheidung, die in der Praxis gar nicht sauber durchgeführt werden kann.

Abendblatt: Welche Probleme ergeben sich aus der Praxis des Erbrechtsexperten?

Groll: Die neuen, höheren Freibeträge führen natürlich in vielen Fällen zu Entlastungen, aber selbst bei den eigenen Kindern nicht immer, zum Beispiel wenn es sich um höherwertige Immobilien handelt. Die Anhebung auf die vollen Verkehrswerte wird bei solchen Immobilien durch die Anhebung der Freibeträge durchaus nicht immer kompensiert. So zahlt ein Kind, das eine Immobilie im Verkehrswert von 600 000 EUR erbt, dafür heute eine höhere Erbschaftssteuer als vor der Reform, wo in der Regel nur 50 Prozent des Verkehrswerts angesetzt wurden.

Die Feststellung des Verkehrswerts ist im Einzelfall kompliziert. In der Regel wird der Steuerbürger andere Vorstellungen als das Finanzamt haben. Dies führt in Zukunft mit Sicherheit zu sehr viel mehr Streit, damit auch zu mehr Belastungen für die Finanzverwaltung. Die frühere Regelung zur Ermittlung des Immobiliensteuerwerts war sehr viel einfacher, von ihr musste sich der Gesetzgeber wegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aber verabschieden.

Abendblatt: Es gibt Vorschläge, dass einzelne Bundesländer eine unterschiedliche Erbschaftssteuer erheben können. Wie ist das zu beurteilen?

Groll: Bisher weiß niemand, ob das neue Erbschaftssteuerrecht zu einem höheren oder niedrigeren Steueraufkommen wird. Zu viele unwägbare Faktoren spielen hinein. Die diskutierte Regionalisierung der Erbschaftsteuer ist abzulehnen, weil sie zu Willkür führt. Beispiel Bayern, das mit dieser Regionalisierung liebäugelt: Vergleicht man Oberbayern mit der Oberpfalz, so haben wir es mit vollkommen unterschiedlichen Lebens- und Wertverhältnissen zu tun, ja, selbst innerhalb einer einzelnen Stadt, wie zum Beispiel München oder Nürnberg, gelten für die Immobilienwerte vollkommen verschiedene Verhältnisse. Eine unterschiedliche Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen in den verschiedenen Bundesländern ist daher abzulehnen.

Abendblatt: Welche Nachfolge- und Erbschaftsregelungen müssen vor allem die kleinen Familienunternehmen wie Handwerksbetriebe jetzt bedenken?

Groll: Vorschnelles Handeln von kleineren Familienunternehmen wäre jetzt riskant. Man sollte abwarten, was die neue Regierung verändert. Mit Verschlechterungen zu Lasten der Unternehmen ist sicher nicht zu rechnen.

Abendblatt: Müssen jetzt auch wieder einige Testamente geändert werden?

Groll: Am 1. Januar 2009 ist die Erbschaftssteuerreform in Kraft getreten, am 1. Januar 2010 tritt eine Erbrechtsreform in Kraft, in deren Mittelpunkt die Veränderung des Pflichtteils- und Pflichtteilsentziehungsrechts steht. Beide Reformwerke liefern zahlreiche Gründe dafür, bereits errichtete Testamente zu überprüfen bzw. zu ändern.

Abendblatt: Wie kann man von unabhängiger Stelle erfahren, ob man besser zu Lebzeiten schenkt oder später vererbt?

Groll: Die Frage nach lebzeitiger Schenkung ist ein heißes Eisen, das nur höchst individuell beurteilt werden kann. Hier geht es nicht nur um die Steuerersparnis der nachfolgenden Generation, sondern auch um die Vorsorgeplanung der Eltern, zudem um die Gefahr der beruflichen Demotivierung der Kinder und um die Frage, wie man psychologisch darauf reagiert, dass man sich von Vermögen, insbesondere auch zum Beispiel der eigenen Wohnimmobilie, getrennt hat. Das alles sollte man mit einem Fachanwalt für Erbrecht, der auch eine Steuerberatung durchführen muss, sorgfältig erörtern.