Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler zum Festakt in der Messestadt.

Hamburg/Leipzig. Einen strahlenden Frühherbsttag erlebten Leipzig und seine Gäste am Freitag. Einen ganz anderen Tag als es der 9. Oktober vor 20 Jahren war. Kalt und diesig und grau war der damalige Montag. Und statt Unbeschwertheit lag eine bleierne Stimmung über der Stadt, in die seit dem frühen Nachmittag immer mehr Bürger und auch Sicherheitskräfte strömten.

"Vor der Stadt standen Panzer, die Bezirkspolizei hatte Anweisung, auf Befehl ohne Rücksicht zu schießen. Und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt." So schilderte Bundespräsident Horst Köhler bei einer Feierstunde im Gewandhaus die dramatischen Ereignisse vor 20 Jahren. Formulierungen, die umgehend für einigen Wirbel sorgten, weil nach Angaben von Historikern und Zeitzeugen damals weder Panzer vor der Stadt standen, noch Blutplasma und Leichensäcke bereit lagen. Ganz sicher aber zogen auf den Tag genau damals 70 000 Menschen nach dem traditionellen Friedensgebet in der Nikolakirche um den Ring. Wie durch ein Wunder wurde keine Waffengewalt eingesetzt. Das Staatsoberhaupt würdigte den Mut derer, die sich vor 20 Jahren mit der Forderung nach Demokratie auf die Straßen wagten. "Danke!"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) richtete in einem Statement am Rande der Feier den Blick über Leipzig hinaus: "Heute ist ein ganz besonderer Tag für Leipzig, aber auch für alle Menschen in der ehemaligen DDR und in Deutschland insgesamt."

Mit Köhler und Merkel war viel Prominenz aus der Wendezeit nach Leipzig gekommen: Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die Pfarrer Friedrich Schorlemmer und Christian Führer, die Bürgerrechtler Wolfgang Thierse, Markus Meckel und Werner Schulz. Noch am Abend vor dem 9. Oktober 1989 waren Demonstranten am Dresdner Hauptbahnhof mit Knüppeln attackiert worden, erinnerte Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler in seiner Rede.

"In jenen Oktobertagen stand alles auf Messers Schneide", sagte Köhler - und erinnerte auch an die "Leipziger Sechs", die sowohl die Demonstranten als auch die Staatsmacht zu Besonnenheit und Gewaltlosigkeit aufriefen. Zu der Gruppe gehörte auch Stardirigent Kurt Masur, der sichtlich bewegt am Gewandhaus-Pult die Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel "Egmont" dirigierte.

Draußen vor dem Gewandhaus, auf dem Augustusplatz gegenüber der Grimmaischen Straße, hat Leipzig eine neue Attraktion bekommen. Das große goldene Ei ist die "Glocke der Demokratie", die an den heißen Herbst 1989 erinnern soll. Zwar funktioniert die Elektromechanik bei ihrer Enthüllung nicht, sodass die Glocke zunächst stumm bleibt. Aber sie zog vom ersten Augenblick an die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich.

Am Nachmittag haben sich dann wieder Hunderte Menschen zu einem Friedensgebet in der Nikolaikirche versammelt. Wie vor 20 Jahren zogen sie danach wieder mit Kerzen durch die Stadt; diesmal, um an die Revolution zu erinnern. Und die Polizei war diesmal von Anfang an friedlich gestimmt: Sie hatte ein Konzept entwickelt, um die Menschenmenge sicher über den Ring zu geleiten.