Kaum jemand war im Jahr 2000 so glücklich über den sogenannten Atomkonsens wie die Spitzenmanager der deutschen Stromkonzerne. Endlich, nach Jahrzehnten einer bitteren Auseinandersetzung, herrschte an der Streitfront Atomkraft Ruhe.

Der geordnete Ausstieg aus der Nutzung der Technologie bis um das Jahr 2020 herum brachte den Unternehmen Investitionssicherheit und befriedete das politische Parkett.

Dass zum Ende dieses Wahlkampfes ausgerechnet das Uraltthema Atomkraft wieder in den Mittelpunkt rückt, ist gleichermaßen seltsam wie bedenklich: Seltsam, weil längere Laufzeiten für neue Atomkraftwerke oder gar der Bau neuer Reaktoren angesichts der heutigen technologischen Perspektiven ein Rückschritt wäre. Bedenklich, weil auch mehr als 40 Jahre nach dem Beginn der kommerziellen Atomkraft-Nutzung in Deutschland noch immer kein plausibler Plan für ein Endlager vorliegt, in dem die hoch radioaktiven Abfälle sicher verstaut werden können - für mehrere Hunderttausend Jahre.

Innerhalb weniger Jahre ist in Deutschland ein komplett neuer Industriezweig entstanden, der jetzt bereits rund 250 000 Menschen Arbeit gibt und der die heutige Schlüsselbranche Automobilwirtschaft in den kommenden zwei Jahrzehnten in ihrer Bedeutung überflügeln wird. Die Entwicklung und Fertigung von Windturbinen, Solarsystemen und Biogasanlagen, von Energiespeichern, supraleitenden Stromnetzen und Minikraftwerken bilden das Fundament für eine neue industrielle Revolution.

Die deutsche Wirtschaft ist im Markt für erneuerbare Energien weltweit führend. Auch deshalb, weil die Branche durch den Atomausstieg einen ungeheuren kreativen und ökonomischen Schub erfahren hat. Es wäre töricht, das zu gefährden, indem alte Strukturen am Energiemarkt für Jahrzehnte fortgeschrieben werden.