Finanzminister zweifelt an Chance für sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten. Renate Künast sieht “politische Bankrotterklärung“ und “Gefangenschaft in Großer Koalition“.

Berlin. Erst nachdem ein Sturm der Entrüstung bei Linken und Grünen losbrach, versuchte SPD-Vize Peer Steinbrück gestern zurückzurudern und dem Eindruck zu widersprechen, er habe sich für eine Neuauflage der Großen Koalition starkgemacht. "Wir suchen nicht die Große Koalition, schließen sie aber auch nicht aus", erklärte Steinbrück in Berlin. Und: "Wir kämpfen dafür, Schwarz-Gelb zu verhindern." Wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte, sei die Ampel mit der FDP für die SPD eine Option. Er fügte hinzu: "Frank-Walter Steinmeier ist der bessere Bundeskanzler." Dafür streite die SPD.

Doch ungeschehen machen konnte der Finanzminister seinen Auftritt und seine Äußerungen in Hamburg am Tag zuvor damit nicht mehr. Da hatte er recht unverhohlen für die Neuauflage der Großen Koalition geworben und damit indirekt zugegeben, dass er an einen Kanzler Frank-Walter Steinmeier nicht mehr glaubt. Wie anders ließen sich Äußerungen interpretieren, wonach eine Neuauflage der Großen Koalition für Deutschland "kein Unglück" wäre? Wonach es zwischen SPD und Union angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise "mehr denn je" Gemeinsamkeiten gebe, die die Fortsetzung des Bündnisses mit der - in allen Umfragen weit vorne liegenden - Union rechtfertigten?

Und Steinbrück hatte sogar prophezeit, dass die FDP sich für ein Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen nicht hergeben werde. Genau jenes Bündnis also, um das Steinmeier immer noch wirbt - für den wahrscheinlichen Fall, dass das Wahlergebnis nicht reicht, um das offiziell immer noch angestrebte Bündnis mit den Grünen zu schmieden.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, die am Tag zuvor allerdings selbst eingeräumt hatte, dass es für Rot-Grün nicht reichen werde, reagierte entsetzt: "Statt eine Zukunftsidee für das Land zu entwickeln, will Steinbrück den Stillstand der Großen Koalition fortsetzen." Sie wertete dies als "politische Bankrotterklärung". Für einen politischen Wechsel und die ökologische und soziale Erneuerung stünden allein die Grünen. Steinbrück wolle die SPD "in der Gefangenschaft einer Großen Koalition halten", kritisiert auch Linken-Fraktionsvize Klaus Ernst. "Die SPD hat es mit ihrer hirnlosen Frontstellung nach links in den letzten vier Jahren versäumt, eine eigene Machtalternative aufzubauen", fügte er hinzu. Er wertete die Aussagen Steinbrücks als Eingeständnis eines "Schachspielers", der "weiß, wie man eine Partie für verloren erklärt". Linken-Parlamentsgeschäftsführer Ulrich Maurer hielt Steinbrück vor, die SPD verabschiede sich so "endgültig von ihrer Stammwählerschaft". Steinbrücks Votum für eine Große Koalition sei "ein Offenbarungseid".

FDP-Chef Westerwelle hat bislang eine Ampelkoalition weitgehend ausgeschlossen. Kommenden Sonntag soll ein Parteitag der Liberalen eine Koalitionsaussage für die Union treffen. Bisher liegt Schwarz-Gelb in allen Umfragen vorn. Experten sind aber der Ansicht, dass das bürgerliche Lager sein Wählerpotenzial bereits ausgeschöpft hat, die SPD nicht. Um vier bis fünf Prozentpunkte könnten die Sozialdemokraten sich noch verbessern, wenn es ihnen gelänge, ihre Klientel zu mobilisieren. Ob Steinbrück das im Sinn hatte?