Schüler des Gymnasiums Klosterschule in St. Georg interviewten den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt in Berlin.

Berlin/Hamburg. Sie fragten hart und bekamen ungewöhnliche Antworten: Schüler des Gymnasiums Klosterschule in St. Georg interviewten den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt in Berlin. Ein Gespräch vor der Bundestagswahl über persönliche Eigenschaften, Koalitionen, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan - und den Lieblingswitz des Außenministers.

Lukas Götsche:

Die SPD wirbt im Bundestagswahlkampf mit dem Slogan: "Wir für Frank". Heißen Sie nicht Frank-Walter?

Frank-Walter Steinmeier:

Ach, das ist mir egal. In meinem Pass steht Frank-Walter, und auch in der Politik werde ich meist so genannt. Aber für viele meiner Freunde bin ich einfach Frank. Und die Initiative, die Sie ansprechen, ist eine Initiative von Freunden.

Lukas Götsche:

Offensichtlich gibt es Parteistrategen, die sich Gedanken machen über Ihr Erscheinungsbild. Was finden Sie selbst an sich interessant?

Steinmeier:

Interessant? So etwas müssen doch andere beurteilen.

Abendblatt:

Versuchen Sie es doch mal selbst.

Steinmeier:

Ich bin mit mir ganz zufrieden. Ein Kandidat sollte sich immer gut überlegen, ob er den Empfehlungen von Parteistrategen folgt. Es ist keine gute Idee, wenn man versucht, im Wahlkampf anders zu sein, als man tatsächlich ist. Die Menschen haben mich vier Jahre lang als Außenminister vor den Mikrofonen und Kameras erlebt. Ich kann mich nicht schlagartig ändern - und ich will es auch gar nicht. Ich gehöre zu den nervenstarken und gelassenen Menschen, die auch in hohen Ämtern nicht die Bodenhaftung verlieren. Ich bin jemand, der die inhaltliche Auseinandersetzung sucht, reine Show ist mir zu wenig.

Suna Voß:

Sind Sie auch spontan?

Steinmeier:

Ich glaube, ja. Das merken Sie doch.

Suna Voß:

Dann erzählen Sie mal Ihren Lieblingswitz ...

Steinmeier:

Bitte?

Suna Voß:

Ihren Lieblingswitz.

Steinmeier:

Mein Lieblingswitz. Das muss jetzt wohl einer sein, den man drucken kann. Kennen Sie den mit den drei Papageien?

Suna Voß:

Nein.

Steinmeier:

Kommt ein Mann in eine Tierhandlung und will einen Papagei kaufen. Auf der Stange sitzen ein blauer, ein roter und ein zerzauster gelber Papagei. Sagt der Mann: Ich hätte gerne den blauen Papagei. Sagt der Verkäufer: Der kostet 6000 Euro. Der Mann: Was, 6000 Euro? Der Verkäufer: Der blaue Papagei spricht nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch. Der Mann: Dann nehme ich lieber den roten. Der Verkäufer: Gute Entscheidung, aber der rote Papagei kostet 12 000 Euro. Der Mann: Warum denn das? Der Verkäufer: Der spricht Deutsch und Englisch und kann Französisch verstehen. Der Mann: Dann muss ich wohl den zerzausten gelben nehmen. Der Verkäufer: Das können Sie gerne tun, aber der kostet 24 000 Euro. Der Mann: Der ist doch so hässlich. Was kann der denn? Der Verkäufer: Was der kann, das wissen wir auch noch nicht. Aber die anderen beiden sagen Chef zu ihm.

Abendblatt:

Chapeau! Müssen wir die Farben jetzt politisch deuten?

Steinmeier:

Nein. Jedes Mal, wenn ich den Witz erzähle, haben die Papageien andere Farben.

Sara Akbarzadah:

Warum schaffen es so viele Politiker nicht, Jugendliche zu begeistern?

Steinmeier:

Ich weiß nicht, ob das tatsächlich so ist. Und ich sage auch nicht, dass Sie von mir begeistert sein müssen. Aber als Politiker ist man in dem Dilemma, dass man sich abends in der Tagesschau und überhaupt im Fernsehen kaum einer jugendgerechten Sprache bedienen kann. Auch wenn ich versuche gegenzusteuern. Zum Beispiel mache ich immer wieder Unterrichtsstunden an Schulen, rede mit Logo-TV und hatte sogar schon einmal eine Logo-Reporterin mit auf einer Reise.

Sara Akbarzadah:

Barack Obama benutzt doch auch keine Jugendsprache. Trotzdem gelingt es ihm, Jugendliche zu begeistern. Neidisch?

Steinmeier:

(lacht) Ja, natürlich! Aber im Ernst: Das ist ein Politiker, der ganz sicher begeistern kann, und er hat einen tollen Wahlkampf gemacht. Aber eines darf man nicht vergessen: Obamas Wahlkampf war auch deshalb so erfolgreich, weil die Amerikaner nach acht Jahren Bush die Nase voll hatten.

Abendblatt:

Vier Jahre Merkel bringen nicht den gleichen Effekt?

Steinmeier:

Ich glaube, wir unterschätzen, wie groß der Wunsch der Amerikaner nach einem Wechsel war. Das nimmt nichts weg von dem hervorragenden Wahlkampf, den Obama geführt hat. Ich teile auch viele seiner Ziele. Wahlkampf in Amerika ist trotzdem etwas anderes als in Deutschland.

Abendblatt:

Gibt es ein persönliches Erlebnis mit Barack Obama, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Steinmeier:

Das war vor gut einem Jahr hier im Hause, eine Etage höher. Er war noch nicht Präsident, und ihr erinnert euch: Vorher gab es Streit, ob und wo er in Berlin reden darf. Frau Merkel war da anderer Meinung als ich. Barack Obama kam ganz unstaatsmännisch in mein Zimmer und hat eine Tasse Kaffee getrunken. Wir haben ein halbe Stunde geredet, dann hat er sich freundlichst wieder verabschiedet. Diese Art hat mir gefallen.

Abendblatt:

Was hat er denn gesagt?

Steinmeier:

Wir haben uns über Arnie Schwarzenegger unterhalten und über seine Initiativen zum Klimaschutz. Es ist ja erstaunlich, wie nahe Obama und Schwarzenegger in dieser Frage beieinander waren, obwohl sie unterschiedlichen Parteien angehören.

Sara Akbarzadah:

Obama soll zu Kanzlerin Merkel gesagt haben: Angela, du hast die Wahl schon gewonnen. Haben Sie sich bei Hillary Clinton darüber beschwert?

Steinmeier:

Nee, dazu bin ich viel zu gelassen im Umgang mit solchen Dingen. Gewundert hat's mich nicht. Die Amerikaner lesen ja auch die Umfragen, und damals war der Abstand zwischen CDU und SPD noch größer. Warum soll ich mich lange darüber ärgern?

Lukas Götsche:

Wenn es je aussichtslose Kanzlerkandidaten gegeben hat, dann sind es Guido Westerwelle 2002 und Frank-Walter Steinmeier 2009. Gibt es Momente, in denen Sie ins Grübeln kommen?

Steinmeier:

Nein, dazu gibt es auch keinen Anlass. Ich bin viel im Land unterwegs und treffe auf eine Wirklichkeit, die mit den Umfragen wenig zu tun hat. Die letzten Landtagswahlen haben gezeigt: Schwarz-Gelb ist nicht gewollt. Die Situation ist offen.

Lukas Götsche:

Denken Sie manchmal: Hätte ich es nur Kurt Beck überlassen, gegen Angela Merkel zu verlieren?

Steinmeier:

Gar nicht! Letztes Jahr am Schwielowsee haben wir uns entschieden, habe ich mich entschieden. Da kann man jetzt nicht zurückzucken.

Lukas Götsche:

Fakt ist: Kanzler werden Sie nur, wenn Sie mit der Linkspartei zusammengehen ...

Steinmeier:

Ganz sicher nicht. Eine Koalition mit der Linkspartei kommt im Bund nicht infrage. Das habe ich immer gesagt und auch dafür gesorgt, dass das im Regierungsprogramm der SPD drinsteht. Darauf kann sich jeder verlassen.

Suna Voß:

Wenn Sie auf eine Ampelkoalition mit FDP und Grünen spekulieren - die schließt Guido Westerwelle aus.

Steinmeier:

Und die Union sagt, dass ihr die Liebeszusage von Guido Westerwelle nicht verbindlich genug ist ... Wir werden sehen, was geht. Koalitionsfragen werden frühestens am Tag nach der Wahl entschieden.

Abendblatt:

Sie hoffen noch auf die Ampel?

Steinmeier:

Unser Wunschpartner sind die Grünen. Und wenn es für Rot-Grün nicht reicht, schließe ich eine Ampel nicht aus, ganz klar.

Abendblatt:

Wie traurig wären Sie denn, wenn es nach der Wahl mit der Großen Koalition weiterginge?

Steinmeier:

Große Koalitionen müssen in Deutschland eine Ausnahme bleiben. Lange Regierungszeiten von Union und SPD führen dazu, dass die politischen Ränder gestärkt werden.

Abendblatt:

Sie greifen die Kanzlerin inzwischen auch persönlich an. Könnten Sie nach der Wahl überhaupt noch vertrauensvoll zusammenarbeiten?

Steinmeier:

Wahlkampf ist nichts Unanständiges. Harte Auseinandersetzungen gehören dazu. Und was Frau Merkel und mich persönlich angeht: Wir sind erwachsen und erfahren genug, damit umzugehen, dass Wahlkampfzeiten besondere Zeiten sind. Es ist doch klar, dass der Ton auf den Veranstaltungen jetzt schärfer ist als in den vier Jahren davor.

Lukas Götsche:

Der SPD hat in den vergangenen Monaten auch die niedrige Wahlbeteiligung zu schaffen gemacht. Was halten Sie von einer Wahlpflicht wie in Griechenland oder in Belgien?

Steinmeier:

In der Demokratie sollte sich jeder verpflichtet fühlen, wählen zu gehen. Aber ich würde daraus keine rechtliche Pflicht machen. Der Bürger muss die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden. Auch die Wahlenthaltung ist ja eine politische Botschaft - selbst wenn sie mir nicht gefällt.

Umeira Seifie:

Ich stamme aus Afghanistan. Wie lange soll die Bundeswehr noch in meiner Heimat bleiben?

Steinmeier:

Man darf nicht vergessen, warum die Bundeswehr vor acht Jahren nach Afghanistan gegangen ist. Ein wesentlicher Grund war, Deutschland vor Terroranschlägen wie am 11. September 2001 in New York zu schützen. Das heißt nicht, dass wir bis in alle Ewigkeit in Afghanistan bleiben ...

Abendblatt:

... sondern wie lange?

Steinmeier:

Wir müssen mit der neuen afghanischen Regierung und dem neuen Präsidenten besprechen, wie es weitergehen soll. Wir brauchen einen Fahrplan, wie lange deutsche und andere Soldaten in Afghanistan sein müssen und wie man sich den Rückzug vorstellen kann. Die Lage ist immer noch unsicher, aber wir sind bei der Ausbildung der afghanischen Armee weit vorangekommen. Bei der afghanischen Polizei müssen wir in den nächsten Jahren noch mehr tun.

Abendblatt:

Wann zieht die Bundeswehr ab?

Steinmeier:

Sobald die Afghanen in der Lage sind, die Sicherheit im eigenen Land selbst zu gewährleisten. Es wäre falsch, öffentlich über Jahreszahlen zu debattieren. Wer ein Datum für einen Rückzug nennt, gibt den Taliban ein Signal, wie lange sie überwintern müssen, bis sie wieder die Macht übernehmen können.

Umeira Seifie:

Meine Verwandten in Afghanistan sagen mir, die Menschen dort wollen mit den deutschen Soldaten nichts zu schaffen haben. Was hat Deutschland falsch gemacht?

Steinmeier:

Ich kann nicht korrigieren, was Ihre Verwandten sagen. Aber ich bin selbst oft in Afghanistan gewesen und habe ein anderes Bild gewonnen: Die Deutschen haben einen ganz guten Ruf. Uns ist im Norden eine ganze Menge an Wiederaufbau gelungen. Vielerorts wächst statt Drogen wieder Getreide. Damit sind wir nicht am Ziel. Afghanistan ist nicht gerettet, weiß Gott nicht.

Umeira Seifie:

Ich höre, die Taliban werden immer stärker - und in der Bevölkerung auch immer beliebter. Sind sie überhaupt zu bezwingen?

Steinmeier:

Ich bin oft da, und mein Eindruck ist nicht, dass die Taliban kurz davor sind, wieder die Macht zu übernehmen. Die Menschen in Afghanistan wollen kein Zurück zur Taliban-Herrschaft. Mit dem neuen Präsidenten müssen wir dafür arbeiten, dass die Stabilisierung gelingt.

Umeira Seifie:

Warum sind Sie nicht ehrlich und sprechen von Krieg in Afghanistan?

Steinmeier:

Die Lage ist zweifelsohne sehr gefährlich, und der Einsatz ist riskant, es gibt Opfer. Aber: Krieg ist nach unserem Sprachgebrauch immer ein Krieg zwischen Staaten. Hier in Afghanistan kämpfen wir gemeinsam mit dem afghanischen Staat gegen Terrorismus. Darum sprechen wir nicht von Krieg, sondern von einem Kampfeinsatz. Aber Kampfeinsätze sind nicht weniger gefährlich als Kriege.

Umeira Seifie:

Sie sagen also: In Afghanistan ist kein Krieg.

Steinmeier:

Wenn es Ihnen nur um die Gefährlichkeit geht, könnte man sagen: Ja, es ist Krieg. Aber sprachlich und inhaltlich wäre es nicht richtig.

Sophie Paasche:

Deutschland will eine Friedensmacht sein, ist aber ungefähr der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wie ist das zu rechtfertigen?

Steinmeier:

Wir sind höchstens an der sechsten Stelle, nach den USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und vermutlich auch China.

Sophie Paasche:

Das macht es auch nicht besser.

Steinmeier:

Deutschland hat international mit die strengsten Bestimmungen. Rüstungsgüter dürfen nicht in Spannungsgebiete exportiert werden. Und der weit überwiegende Teil geht zu Bündnispartnern innerhalb der Europäischen Union und der Nato. Ich würde mir auch wünschen, dass die Welt friedlicher wäre. Und Frieden lässt sich schon gar nicht nur durch Waffen schaffen. Aber es gibt Situationen, da kann man das eigene Land und die Bündnispartner nicht schutzlos lassen.

Sophie Paasche:

Deutschland exportiert also nicht in Krisengebiete. Können Sie denn absehen, wo in zwei Jahren überall Krisengebiete sind?

Steinmeier:

Man kann schon mit einiger Genauigkeit sagen, wo Spannungen sind und wo sich welche entwickeln, und Rüstungsexporte in solche Regionen unterbinden.

Sara Akbarzadah:

Stichwort Rüstung: Ist das iranische Atomprogramm noch aufzuhalten?

Steinmeier:

Ich hoffe, ja. Ich gehöre zu jenen, die sich seit dreieinhalb Jahren darum bemühen - bisher leider ohne Erfolg.

Sara Akbarzadah:

Und nun?

Steinmeier:

Wir sind jetzt nach den Wahlen in einer Zwischenphase. Die neue Führung im Iran muss sich entscheiden, ob sie auf das amerikanische Gesprächsangebot eingeht oder nicht. Ich bin im Augenblick eher skeptisch. Wenn es dabei bleibt, werden wir demnächst in einer neuen Runde von Sanktionen sein. Wir werden den Druck erhöhen müssen.

Sara Akbarzadah:

Wären Sie bereit, mit Präsident Ahmadinedschad gemeinsam Urlaub zu machen, wenn Sie wüssten, das hilft den Menschen im Iran?

Steinmeier:

Ich glaube nicht, dass Herr Ahmadinedschad weiß, was den Menschen im Iran hilft. Da ich so wenig Urlaub habe, suche ich mir meine Begleitung nach anderen Kriterien aus.

Sara Akbarzadah:

Heißt das, Sie würden diese Chance verstreichen lassen?

Steinmeier:

Das ist eine nette Frage. Aber im Ernst, glauben Sie mir: Ich bin bereit, alles zu tun, was den Menschen im Iran hilft. Doch wenn es irgendwie geht, will ich meinen Urlaub mit jemand anderem verbringen.

Sara Akbarzadah:

Der Urlaub ist also wichtiger.

Steinmeier:

Wenn das so wäre, hätte ich in den letzten Jahren mehr Urlaub genommen.

Sophie Paasche:

Sie haben eine 13-jährige Tochter. Geht sie auf eine Privatschule?

Steinmeier:

Sie geht auf eine Schule in kirchlicher Trägerschaft.

Sophie Paasche:

Sie sind wohl nicht so zufrieden mit staatlichen Schulen.

Steinmeier:

Ach, wissen Sie, das ist für einen Vater gar nicht so einfach. Wenn eine Tochter sagt: Ich gehe mit meinen Freundinnen auf diese Schule, dann sagen Sie einer 13-Jährigen mal: Nee, das will ich nicht, du gehst auf eine andere Schule. Das sollten Sie gar nicht erst versuchen.

Abendblatt:

Zu Hause regiert die Tochter, ja?

Steinmeier:

Bei dieser Frage hat sie eine starke Meinung.

Sophie Paasche:

Sind Sie bereit, für Ihre Tochter später Studiengebühren zu zahlen?

Steinmeier:

Das ist ein ernstes Thema. Hätte es zu meiner Zeit Studiengebühren gegeben, würden Sie mich hier nicht interviewen. Ich komme auch aus einer Familie, in der es nicht selbstverständlich war, dass ein Kind Abitur macht oder studiert. Und für mich war das damals nur möglich, weil es keine Studiengebühren gab. Deshalb bin ich ganz fest der Meinung, dass der Weg in Studiengebühren der falsche Weg ist.

Moderation: Claus Strunz, Jochen Gaugele

Dokumentation: Karsten Kammholz