Der Arbeitsminister verspricht: Jeder zwischen 20 und 29 Jahren wird Abitur oder eine qualifizierte Ausbildung haben.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Herr Minister, SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier stellt in seinem Deutschland-Plan vier Millionen Arbeitsplätze bis 2020 und Vollbeschäftigung in Aussicht. Können Sie als Arbeitsminister jetzt noch gut schlafen?

Scholz:

Ja, klar. Frank-Walter Steinmeier hat sich systematisch damit beschäftigt, wo noch zu wenige Arbeitsplätze entstehen, und damit, was wir ändern müssen. Sein Programm ist das Ergebnis einer langen, intensiven Vorbereitung, an der auch viele Experten aus der Wirtschaft mitgewirkt haben. Eins ist doch klar: Die Politik ist nicht allmächtig und kann nicht alles finanzieren. Sie braucht die Bereitschaft der Wirtschaft, neue Wege zu gehen. Aber die Politik darf Chancen nicht ungenutzt lassen.

Abendblatt:

Wo sehen Sie diese Chancen?

Scholz:

Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands beruht auf dem Exportgeschäft. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass das so bleibt. Wir wollen in die zukünftigen Wachstumsbranchen investieren, etwa in die Energiewirtschaft. Die Rechnung ist ganz einfach: Wenn wir weniger Ressourcen verbrauchen für unsere Produktion, werden wir automatisch wettbewerbsfähiger. Ein entscheidendes Wachstumsfeld ist daher die sogenannte Green Technology, also umweltverträgliche und nachhaltige Technologien zur regenerativen Energieerzeugung. Auch in der Entwicklung der Elektromobilität muss Deutschland Innovationsführer werden.

Abendblatt:

Schaffen diese Branchen auch massenhaft Arbeitsplätze?

Scholz:

Ja, die Wachstumsraten sprechen dafür. Wir brauchen zudem die Universitäten. Wir werden Cluster schaffen aus Forschung, Wirtschaft und Staat. Es geht nicht darum, mit Staatshilfe künstlich einen Markt zu schaffen, sondern die Möglichkeiten der Märkte zu nutzen. Wir erfinden nicht, wo in Zukunft Arbeitsplätze entstehen sollen. Sondern wir schauen genau hin: Wo entsteht hier ein Markt? Wo verändern sich Märkte? Es geht darum, die Privatwirtschaft zu unterstützen, mit Ausbildungen und mit Forschung.

Abendblatt:

Was heißt das konkret?

Scholz:

Wir werden im Bereich der Naturwissenschaften viele zusätzliche Stellen an Universitäten schaffen. Und nicht nur dort. Wir brauchen dringend mehr Spezialisten in Mathematik und Technik.

Abendblatt:

Damit kommen wir aber noch nicht auf vier Millionen Arbeitsplätze.

Scholz:

Der Dienstleistungssektor ist der größte und wichtigste Bereich für neue Arbeitsplätze. Der Bedarf an Fachkräften im Gesundheitsbereich wird enorm steigen. In der Alten- und Krankenpflege entsteht ein riesiger Arbeitsmarkt. Daher werden wir in Ausbildung investieren. Das Beschäftigungsbild in Deutschland wird im Jahr 2020 enorm vom Gesundheitsbereich bestimmt sein.

Abendblatt:

Sie haben schon vor Veröffentlichung des Deutschland-Plans vor einem Fachkräftemangel gewarnt. Hat die Wirtschaft die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt?

Scholz:

Ich höre ständig Verbandsfunktionäre, Wissenschaftler und Politiker sagen, uns fehlen die Fachkräfte. Das einzige Rezept dagegen lautet: Bildet aus! Ich sehe aber auch, dass das Problem schon an den Schulen beginnt. Wir müssen dringend etwas daran ändern, dass jedes Jahr 60 000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Wir brauchen deshalb eine Qualifizierungsoffensive. Wir brauchen jeden Bürger in diesem Land. Wir werden sicherstellen, dass jeder junge Deutsche zwischen 20 und 29 Jahren entweder Abitur oder zumindest eine qualifizierte Ausbildung haben wird.

Abendblatt:

In welchen Branchen werden wir Arbeitsplätze verlieren?

Scholz:

Schwer zu sagen. Der drohende Fachkräftemangel in den klassischen Ausbildungsberufen und in den Ingenieursberufen kann zu einer Wachstumsbremse führen. Es wäre ein kapitaler Fehler der Wirtschaft, wegen der aktuellen Krise nicht mehr auszubilden. Es muss jetzt um mehr gehen als darum, nur Arbeitsplätze zu sichern.

Abendblatt:

Wie viele Arbeitslose hat Deutschland demnach im Jahr 2020, wenn die SPD bis dahin mitregiert?

Scholz:

Ich gehöre nicht zu den Politikern, die sich mit spitz gerechneten Voraussagen zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit die Finger verbrennen wollen. Aber ich glaube fest daran, dass wir bis 2020 Vollbeschäftigung schaffen können. Wir müssen nur jetzt die Rahmenbedingungen schaffen, und wir müssen mutig sein.

Abendblatt:

Im Moment weiß man nicht recht, was der SPD wichtiger ist: das eigene Wahlprogramm oder der Deutschland-Plan. Warum brauchen Sie zwei Programme?

Scholz:

Beide Programme ergänzen sich. Einige Aspekte aus dem Deutschland-Plan sind natürlich auch im SPD-Regierungsprogramm wiederzufinden, wenn auch dort verkürzter. Der Deutschland-Plan ist ein Programm, das mit seinen Ideen weit über die nächste Legislaturperiode hinauswirkt. Vollbeschäftigung ist nicht in vier Jahren zu schaffen. Aber es ist ein ursozialdemokratischer Impuls, daran zu glauben, dass jeder, der arbeiten will, auch arbeiten soll. Diese Vision nimmt Steinmeier wieder auf.

Abendblatt:

Die Sozialdemokraten kommen trotzdem aus dem Um-fragen-Keller nicht mehr heraus. Welches Wahlziel ist überhaupt noch realistisch?

Scholz:

Ich rechne damit, dass am 27. September SPD und Union bei Mitte 30 Prozent stehen werden. Und ich glaube, die SPD wird auch stärker sein als CDU/CSU.

Abendblatt:

Wo sehen Sie sich nach der Wahl, Herr Scholz?

Scholz:

Ich bin gern Arbeitsminister und möchte es auch weiter bleiben.

Olaf Scholz (SPD) gehört seit November 2007 der Bundesregierung als Arbeits- und Sozialminister an. Er ist zudem Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Altona.