Der Umweltminister habe eine der traurigsten Bilanzen im Kabinett und erkläre den Störfall von Krümmel zum Normalfall, sagt der CSU-Politiker. Er reklamiert das Umweltressort für die Union. Auch der Gesundheitsfonds sei gescheitert.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Söder, Sie haben mehrfach das Ende des Gesundheitsfonds gefordert und für einen totalen Neuanfang plädiert. Glauben Sie eigentlich selber daran, dass es nach der Wahl am 27. September dazu kommen wird?

Markus Söder:

Mit einer bürgerlichen Koalition wird es im Herbst einen Neustart im Gesundheitswesen geben. Die Fakten sprechen doch für sich: Der Fonds hat kein Problem gelöst und kein Versprechen erfüllt. Durch ihn findet eine enorme Umverteilung in Deutschland statt. Unter Ärzten und Patienten herrscht enorme Verunsicherung. Deshalb finden Sie im gemeinsamen Wahlprogramm mit der CDU auch kein Plädoyer für den Fonds.

Abendblatt:

Im Gegenteil: Das Wort Gesundheitsfonds taucht im Wahlprogramm gar nicht auf. Wie klar sind denn Ihre entsprechenden Absprachen mit der CDU?

Söder:

Im Wahlprogramm sind unsere Ziele klar verankert. Sie sollen Vorrang haben vor der zentralistischen Gleichmacherei des Bundesgesundheitsministeriums. Wir setzen auf das Prinzip der Regionalität, das Recht auf freie Arztwahl und die Stärkung der Kassenpluralität.

Abendblatt:

Bleibt das Rätsel, warum die Union nicht klipp und klar ankündigt, den Fonds abzuschaffen.

Söder:

Noch vor einigen Monaten wurde der Fonds von einigen in der Union gelobt. Die Erfahrung hat manchen Befürworter mittlerweile vom Gegenteil überzeugt.

Abendblatt:

Sie hatten im Januar prophezeit, dass bereits in diesem Sommer flächendeckend Zusatzbeiträge nötig werden. Das ist nicht eingetreten. Sind Sie ein Alarmist?

Söder:

Sehen Sie es etwa kritisch, wenn man auf eine Gefahr hinweist? Es ist doch nur eine Frage der Zeit. Der Fonds wäre bereits heute unterfinanziert, wenn wir nicht aus Haushaltsmitteln drei Milliarden Euro zugeführt hätten. Das Problem ist also nicht vom Tisch.

Der Fonds entfaltet einen unglaublichen Druck auf viele Krankenkassen. Vor allem die kleinen Betriebskrankenkassen sind in ihrer Existenz gefährdet. Aber das Bundesgesundheitsministerium lässt sich nicht von seinen Zielen abbringen. Dort will man eine staatliche Einheitskasse und zentralistische Polykliniken à la DDR. Für Ulla Schmidt sind freiberuflich arbeitende Ärzte das klare Feindbild.

Abendblatt:

Frau Schmidt hat Ihnen vorgehalten, als Landesminister befänden Sie sich noch in den Lehrjahren der Gesundheitspolitik ....

Söder:

Frau Schmidt ärgert sich, dass wir ihrer Staatsmedizin Widerstand leisten. Deshalb weicht sie auch direkten Diskussionen mit der Union permanent aus. Sie hätte es auch nicht einfach: Eine Mehrheit der Mediziner in Deutschland lehnt ihre sozialistische Gängelung ab.

Abendblatt:

Das klingt wie eine Bewerbungsrede für die Nachfolge. Sind Ihre Ambitionen hiermit offiziell angemeldet?

Söder:

Ich bin gerne bayerischer Gesundheitsminister. Wie üblich wird viel spekuliert.

Abendblatt:

Das zielt auf Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und Josef Hecken, den Chef des Bundesversicherungsamts, der als Angela Merkels Favorit gilt ...

Söder:

Es gilt vor allem der Grundsatz: Erst wird gewählt, danach werden Personalfragen gelöst.

Abendblatt:

Welche Bilanz ziehen Sie aus der Ära Ulla Schmidt?

Söder:

Die medizinische Versorgung in Deutschland verschlechtert sich. Kleinere Krankenkassen verschwinden. Ärzte wandern ins Ausland ab. Patienten stehen nicht mehr im Mittelpunkt.

Abendblatt:

Wenn Sie Ulla Schmidt für irgendetwas loben müssten, was wäre das?

Söder:

Es gibt eine vernünftige Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Schweinegrippe.

Abendblatt:

Einen sicheren Platz in einem nächsten Kabinett unter CSU-Beteiligung hat Ihr fränkischer Landsmann Karl-Theodor zu Guttenberg. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu ihm beschreiben?

Söder:

Viel besser, als die meisten Journalisten meinen. Wir arbeiten gut zusammen - auch wenn wir unterschiedliche Typen sind.

Abendblatt:

Bevor Guttenberg aus dem Nichts kam, galten Sie als Hoffnungsträger der CSU. Jetzt ist Guttenberg der Shootingstar und sogar beliebter als die Kanzlerin. Das muss Sie doch nerven, oder?

Söder:

Wir haben eine klare Nummer eins, und die heißt Horst Seehofer. Im Übrigen gilt: In der Politik ist alles möglich. Zu Beginn des Jahres 2007 hatten mich viele schon abgeschrieben. Ein halbes Jahr später war das schon wieder anders. Man reift durch solche Erfahrungen.

Abendblatt:

Beim CSU-Parteitag in Nürnberg haben Sie bei der Vorstandswahl einen herben Dämpfer erlitten. Wie wollen Sie das verlorene Vertrauen zurückgewinnen?

Söder:

Bei den Vorstandswahlen hat auch meine Position zum Donauausbau eine Rolle gespielt. Als Umweltminister sehe ich mich als Anwalt der Natur. Für ein scheinbar gutes Ergebnis darf man keine Überzeugung opfern. Das muss man aushalten.

Abendblatt:

Was hat sich in Bayern und in der CSU verändert, seit Seehofer die Macht übernommen hat?

Söder:

Horst Seehofer hat die CSU in einer besonders schwierigen Phase übernommen und zusammengehalten. Es ist maßgeblich sein Verdienst, dass wir bei der Europawahl fast wieder 50 Prozent erzielt haben. Trotzdem muss der Erneuerungsprozess weitergehen. Wir müssen uns intensiver mit den Lebensthemen wie Ökologie, gesunde Ernährung, Klimaschutz und Grüne Gentechnik auseinandersetzen.

Abendblatt:

Würden Sie sich die Nachfolge von Bundesumweltminister Gabriel zutrauen?

Söder:

Es wird hoffentlich ein Unionspolitiker sein, der dieses Ressort besetzt. Die Bilanz von Sigmar Gabriel ist eine der traurigsten im gesamten Bundeskabinett. Er scheint selbst in Sachen Elektromobilität auf ganzer Linie zu scheitern. In seiner Amtszeit sind mehr Kohlekraftwerke denn je in Planung. Den Umweltschutz hat am nachhaltigsten die Bundeskanzlerin selbst vertreten.

Wenn der Bundesumweltminister jetzt in der Kernenergiepolitik den Aufstand probt, spielt er mit den Ängsten der Menschen.

Abendblatt:

Beginnt die Debatte um die weitere Nutzung der Kernenergie der Union zu schaden?

Söder:

In den bayerischen Kernkraftwerken finden jährlich 5000 Überprüfungen statt. Sie werden sicher betrieben. Transformatoren, die in Krümmel für Probleme gesorgt haben, werden bei uns online überwacht. Die Debatte um die Sicherheit wird Sigmar Gabriel wenig nützen. Es ist ein Skandal, wenn ein Bundesumweltminister den Störfall im Hamburger Abendblatt zum Normalfall erklärt. Das ist grob fahrlässig. Die Diskussion über die Kernenergie muss sachlich geführt werden. Wir brauchen die Kernenergie als Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann. Die Gewinne, die aus einer Verlängerung der Laufzeiten erzielt werden, sollen überwiegend als Öko-Dividende in die Erforschung erneuerbarer Energien und Speichertechnologien fließen.

Abendblatt:

Gabriel hat kürzlich das Atomkraftwerk in Tschernobyl besucht. Waren Sie schon mal dort?

Söder:

Nein. Aber ich lade den Minister gerne ein, ein sicheres bayerisches Kraftwerk zu besichtigen. Da kann er etwas lernen. Aus der Ferne lassen sich keine seriösen Diagnosen über die Sicherheit deutscher Kraftwerke erstellen.