Patienten in Deutschland können nicht unbedingt auf die Unabhängigkeit ihres Arztes vertrauen. Viele Mediziner hören bei der Entscheidung über Arzneiverordnungen auf Einflüsterungen der Pharmaindustrie, heißt es auch aus der Ärzteschaft.

Berlin. Angesichts von Ermittlungen gegen 480 Ärzte fordert Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zum Kampf gegen Korruption auf.

Die Ärzte sollen für Medikamenten-Studien eines Pharmaunternehmens Flachbildschirme, Laptops oder Kaffee-Automaten bekommen haben. Den meisten Medizinern bescheinigte Schmidt zwar Arbeit nach den Regeln der Kunst. "Jeder Arzt, der sich anders verhält, muss wissen, dass er das Vertrauen in die gesamte Ärzteschaft erschüttern wird", sagte sie aber in einem Interview. Ärzteverbände sollten durchgreifen, Pharmahersteller Maß halten.

Einzelne Praxisärzte sind oft mit einer Handvoll Patienten an sogenannten Anwendungsbeobachtungen beteiligt. Der Bremer Sachverständige Gerd Glaeske kritisiert: "Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun." In der Branche spricht man auch von Kaminstudien - Ärzte könnten die Studienbögen bequem abends am Kamin ausfüllen. Mit ihrer Hilfe kaufen die Pharmakonzerne laut Glaeske Verordnungen einzelner Ärzte. Hersteller zahlten bis zu 1500 Euro an die Mediziner, etwa bei neuen gentechnisch hergestellten Mitteln gegen entzündliche Erkrankung der Gelenke mit Kosten von bis zu 24 000 Euro pro Patient und Jahr zulasten der Kassen.

"Viele Ärzte haben das Gefühl, sie kommen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu kurz und entwickeln kaum ein Schuldbewusstsein", sagt Glaeske. "Das ist aus meiner Sicht tatsächlich Korruption."

Zudem ziehen 16 000 Pharmareferenten durch die Praxen. "Ein Arzneimittel ist ein hoch erklärungsbedürftiges Produkt", sagt der Geschäftsführer Recht des Verbands forschender Arzneimittelhersteller, Dirk Bartram. Glaeske hält dagegen: "Wenn sich die Ärzte diese Informationen immer noch anhören und ernst nehmen, haben sie nicht begriffen, dass Pharmareferenten reine Marketingagenten sind."

120 der rund 315 000 Mediziner in Deutschland haben sich zur Initiative unbestechlicher Ärzte Mezis zusammengeschlossen. Auch viele Nichtmitglieder empfingen schon längst keine Pharmareferenten mehr in ihren Praxen, freut sich Vorstandsmitglied Thomas Lindner. Der Arzt warnt vor dem Einfluss der extra geschulten Industrieangestellten auf den Mediziner: "Er schreibt die beworbenen Produkte aufs Rezept."