Bis zu 40 000 Pädagogen könnten schon in diesem Herbst fehlen. Darunter leidet die Unterrichtsqualität.

Hamburg. Der Lehrermangel wird sich im Herbst drastisch verschärfen, warnt der Deutsche Philologenverband (DPhV). Bundesweit würden bis zu 40 000 Stellen nicht durch adäquat ausgebildete Lehrer besetzt. "Statt ausgebildeter Lehrer unterrichten Quereinsteiger", sagte der DPhV-Vorsitzende Heinz-Peter Meidinger dem Hamburger Abendblatt. Besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern würden Fachkräfte fehlen. In den Statistiken der Kultusministerkonferenz (KMK) werde dies allerdings nicht berücksichtigt. Dort tauchten nur ausgefallene Stunden auf. "Die Unterrichtsqualität leidet aber unter diesen Notmaßnahmen", sagte Meidinger.

Die KMK konnte die Zahlen nicht bestätigen: Es sei unklar, auf welcher Basis der DPhV zu dieser Einschätzung komme. "Dass wir in Deutschland dringend etwas für den Lehrernachwuchs tun müssen, ist nicht neu", bestätigte die KMK jedoch.

Zurzeit würden 770 000 Lehrer in Deutschland unterrichten, rechnete Meidinger vor. "300 000 gehen in den nächsten zehn Jahren in Pension", so der Pädagoge. Diese Zahlen berücksichtigen allerdings nur diejenigen, die regulär in den Ruhestand gehen. Viele Lehrer steigen vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit aus dem Beruf aus. Allein in Hamburg waren dies laut dem Personalstrukturbericht 2007 etwa 25 Prozent. "43 Prozent davon waren zwischen 55 und 60 Jahre alt, weitere 43 Prozent über 60", sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hamburg, Klaus Bullan dem Abendblatt.

Dass in Relation zu wenige nachrückten, liege laut Meidinger unter anderem auch an einem Lehrerüberschuss Ende der 1990er-Jahre. Damals seien viele Lehrer arbeitslos gewesen, entsprechend wenige hätte sich in dieser Zeit entschlossen, den Beruf zu ergreifen. Das mache sich jetzt bemerkbar. "Die Politik hat nicht rechtzeitig gegengesteuert", kritisierte er.

Um einen Teil der Stellen adäquat zu besetzen, forderte Meidinger, osteuropäische Lehrer einzustellen. "Vor allem in Tschechien, Polen und Rumänien gibt es sehr gut Deutsch sprechende, naturwissenschaftliche Lehrer, die man für eine Übergangszeit gewinnen könnte", sagte er. Auf Dauer müsse das Problem aber anders gelöst werden.

Josef Kraus, Präsident des Lehrerverbands, macht auch die mangelnde Attraktivität des Berufs für den Nachwuchsmangel verantwortlich. "Wer sich für Fachbereiche wie Mathematik, Chemie, Biologie und Physik interessiert, hat keine Lust, in die Schule zu gehen, weil er außerhalb der Schule interessantere Tätigkeiten findet", sagte Kraus dem Abendblatt. Das erkläre den Nachwuchsmangel vor allem im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer. Der Lehrerberuf müsse ideell und materiell attraktiver werden. "Es muss auch eine bessere Bezahlung für Referendare geben", forderte er.

Die mangelnde Attraktivität könnte aber auch mit den hohen Anforderungen zusammenhängen, die der Lehrerberuf mit sich bringt. "Er ist mit Abstand einer der belastendsten Berufe. Sehr viele Lehrer lassen sich mittlerweile wegen psychosomatischen Krankheiten behandeln, die Zahl steigt", sagte Dr. Andreas Hillert dem Abendblatt. Er ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin an der Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, wo sich auch viele Lehrer behandeln lassen. Sie würden unter anderem unter zu großen Klassen, mangelnder Disziplin der Schüler und Konflikten im Kollegium leiden. "Die fatale Folge des Lehrermangels wird sein, dass der Druck auf die Lehrer weiter zunehmen wird", sagte Hillert.