Rekruten leisten ihr Gelöbnis vor dem Reichstagsgebäude. Linke Proteste gab es auf dem Potsdamer Platz.

Berlin. Über Jahre war Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg nicht mehr nach Berlin gekommen, um an den Gedenkveranstaltungen zum 20. Juli 1944 teilzunehmen. Der Sohn des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der mit seinen Mitstreitern vor 65 Jahren vergeblich versucht hatte, den deutschen Diktator zu töten und dafür von den Nazis hingerichtet worden war, vermisste eine über die Niederlegung von Kränzen hinausgehende Auseinandersetzung mit den Widerstandskämpfern und ihrer Bedeutung für das nationale Erbe. "Solange die Bundesrepublik sich auf den Widerstand als eine ihrer Grundlagen bezieht, ist es ihre Sache, dieses Erbe nicht nur gelegentlich mit ritualisierten Gedenkveranstaltungen zu respektieren, sondern es zu leben", sagte der 71-jährige Stauffenberg.

Es ist vor allem seinem Neffen, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), und ein bisschen auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zu verdanken, dass Graf Stauffenberg sich in diesem Jahr doch nach Berlin aufgemacht hat. Denn durch deren Engagement rückte das Wirken der Widerstandskämpfer diesmal stärker als gewohnt in die öffentliche Wahrnehmung. Guttenberg hielt gestern Nachmittag die Rede bei der Feierstunde der Bundesregierung in der Gedenkstätte Plötzensee. Und Jung hatte sich dafür eingesetzt, dass 400 Bundeswehr-Rekruten am Abend ein öffentliches Gelöbnis vor dem Reichstagsgebäude ablegten. Nach der Premiere dieser Form der feierlichen Vereidigung im Vorjahr hatte der Verteidigungsminister dafür geworben, die Veranstaltung zum Gedenken an den 20. Juli immer dort abzuhalten - und nicht mehr wie zuvor hinter verschlossenen Türen im Bendler-Block.

Die Bundeswehr stellt sich schon lange und ganz bewusst in die Tradition des Kreises um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Daran erinnerte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern Abend in ihrer Gelöbnisrede vor dem Reichstag. Nach Altkanzler Helmut Schmidt im Vorjahr hatte Verteidigungsminister Jung diesmal die Regierungschefin für eine Ansprache an die Rekruten gewonnen. Stauffenberg und seine Weggefährten im Widerstand hätten "eine der wesentlichen Traditionslinien für die Bundeswehr" begründet, sagte Merkel. "Sie sind uns heute Vorbild, Leitbild und Verpflichtung." Der mutige Widerstand habe "unserem Land Würde und Ehre bewahrt".

Die Kanzlerin verteidigte den Ort des Gelöbnisses vor dem Sitz des Bundestags auch gegen die Kritik linker Protestgruppen. Das Reichstagsgebäude sei genau der richtige Platz, um deutlich zu machen, dass die Wehrdienstleistenden mitten in der Gesellschaft stünden. "Sie stehen hier angetreten, um gemeinsam dem Recht und der Freiheit zu dienen. Und gleichzeitig, und das ist mir sehr wichtig, steht jeder hier als eigenständige, verantwortliche Persönlichkeit. Zusammen ergeben Sie eine lebendige Bundeswehr, eine mit Geist statt mit willenlosem Kadavergehorsam erfüllte Armee", sagte Merkel.

Rund 150 Demonstranten haben schon gestern Nachmittag am Potsdamer Platz gegen das Gelöbnis der Bundeswehr protestiert. Erwartet wurden 500 Teilnehmer. Zunächst sei alles "sehr friedlich", sagte ein Polizeisprecher. Ein Protestzug durch den Tiergarten war vorher untersagt worden. Erlaubt war lediglich die Kundgebung am Potsdamer Platz, der außer Sicht- und Hörweite des Reichstagsgebäudes liegt. 1500 Polizisten waren zur Absicherung des Gelöbnisses im Einsatz.