Viele Menschen, die in und um Kümmel herum leben, sind besorgt. Es gibt kaum jemanden, der nicht die sofortige Abschaltung fordert.

Geesthacht/Elbmarsch. Die Angst ist wie eine Schlange. Mal zieht sie sich zurück. Dann kommt sie wieder heraus, legt sich wieder um sie und drückt zu. Jetzt ist die Angst wieder da. "Es passiert ja ständig etwas in diesem Meiler", sagt Anke Bosse (39). Sie sagt das mit ganz ruhiger Stimme - einer Art Schutzschild für sich und ihre Familie. Anfang 2008 ist ihr Sohn Max an Knochenkrebs gestorben. Da war er vierzehn Jahre alt. "Wir wissen nicht, ob seine Krankheit mit dem Atomkraftwerk zu tun hat, aber die Pannen sind beängstigend."

Anke Bosse lebt seit 20 Jahren in Geesthacht. Inzwischen ist die Kinderkrankenschwester mit ihrer Patchworkfamilie, zu der Tochter Paulina (9), Lebenspartner Thomas Szalai (44) und dessen Sohn Til (8) gehören, nach Krümmel gezogen. Eine Wohnung im Erdgeschoss mit Terrasse, Garten und direktem Zugang zum Wald. "Man könnte hier direkt an der Elbe paradiesisch wohnen, wenn der Reaktor nicht wäre", sagt die hübsche zierliche Frau. "Er sollte abgeschaltet werden."

So denken inzwischen die meisten in der Region um das Atomkraftwerk Krümmel. Es ist, als habe der jüngste Zwischenfall das Vertrauen der Menschen vollends zerstört. Während die zehn Greenpeace-Aktivisten, die das Haupttor der 37 Jahre alten Anlage blockieren und den Entzug aller Akw-Betriebsgenehmigungen für Vattenfall fordern, ein politisches Zeichen setzen, geht es für die Bewohner im schleswig-holsteinischen Geesthacht und gegenüber in der niedersächsischen Elbmarsch um ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Existenz. Kaum jemand, der nicht die sofortige Abschaltung fordert. "Ich bin einfach nur empört", sagt Jörn Strauer (45), der vor acht Jahren ein kleines rotes Haus nur wenige Schritte vom Kraftwerksgelände entfernt geerbt hat. "Es ist so, als hätten sie an einem Oldtimer rumgeschraubt, einen Porsche-Motor eingesetzt, und jetzt sind die Bremsen ausgefallen", sagt der Vater des zehnjährigen Lennart.



"Wie kann es sein, dass es zwei Wochen nach dem Wiederanfahren drei Pannen gibt", fragt Dierk Öhlckers (69), der auf der anderen Seite der Elbe in Rönne wohnt. Gern würde er sein Haus verkaufen, "aber die Preise sind total im Keller". Die Verunsicherung wächst. "Unsere Kraftwerke sollen ja immer noch sicherer sein als die in Osteuropa", meint Nadine Maack (31) aus Geesthacht. "Aber Angst habe ich trotzdem." Und auch wenn Gerhard Kahn (68), der als Techniker lange bei der GKSS gearbeitet hat, für Atomenergie ist, meint auch er: "Es ist geschlampt worden. Die technischen Probleme müssen gelöst werden." Einzig Hans Busbach (62) aus Köln, der gestern mit seiner Frau Margret (62) auf Paddeltour in Krümmel ankam, sieht keinen Grund zur Sorge: "Es hat sich doch nach dem Zwischenfall gezeigt, dass die Sicherungssysteme funktionieren", sagt der pensionierte Ingenieur.


Den meisten Menschen in der Region reicht das nicht mehr. "Ich verstehe nicht, warum Krümmel nicht endlich abgeschaltet wird", empört sich Lisa Königsmark (68) aus dem Elbmarschdorf Stove. Und auch Detlef Spremberg (50), stellvertretender Bürgermeister der Samtgemeinde Elbmarsch, ist immer noch fassungslos: "Die Informationspolitik ist trotz aller Versprechungen nach dem Brand 2007 auch dieses Mal wieder desaströs." Erst anderthalb Stunden nach dem Vorfall habe Vattenfall die Meldung an die Katastrophenschutzbehörden geschickt - per E-Mail. "Was wäre, wenn wirklich etwas geschehen wäre", sagt der Vater von vier Kindern. Die Glaubwürdigkeit des Betreibers sei gleich null, sagt er und fordert von der Kieler Atomaufsicht, die Genehmigung nicht erneut zu erteilen.


Für Anke Bosse ist nach den neuen Pannen alles wieder zurückgekommen: die Trauer um Max, die Fragen nach dem Warum, aber auch die Forderung, dass sich etwas ändern muss. "Wenn der Meiler nicht mehr wäre, würden wir alle ein bisschen ruhiger leben", sagt sie. Vielleicht, meint sie, ist diese neue Panne und die Debatte darum doch noch für etwas gut.