In der Großen Koalition sowie zwischen Bundesumweltministerium und Ländern ist ein heftiger Streit über die Zuständigkeiten in der Atompolitik entbrannt.

Hamburg/Kiel. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte, die Atomaufsicht beim Bund zu konzentrieren, und erntete dafür Protest aus Bayern, Niedersachsen und von seinen Parteifreunden in Schleswig-Holstein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnte Änderungen bei der Atomaufsicht ab.

"Der Bund soll eine Bundesaufsicht einführen, die wirklich alle 17 Atomkraftwerke umfasst", sagte Gabriel gestern der ARD. Das Gezerre zwischen Bund und Ländern gebe es nirgendwo auf der Welt.

Gabriel stellte zudem die Bundestagswahl als Richtungswahl in der Atompolitik dar: "Am 27. September entscheiden die Deutschen darüber, ob dieser Reaktor und sieben weitere länger betrieben werden, wie es CDU/CSU und Kanzlerin Merkel vorgeschlagen haben, oder ob wir in der nächsten Periode insgesamt acht dieser schwierigen Reaktoren endlich abschalten können." Gemeint waren die Reaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1, die ihr Laufzeitende erreichen, sowie Krümmel, das eigentlich noch bis etwa 2018 am Netz bleiben könnte.

Kanzlerin Merkel wandte sich gegen Änderungen bei der Atomaufsicht. Die Zuständigkeitsteilung von Bund und Ländern habe sich nach Ansicht der Kanzlerin bewährt, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg. Die Kanzlerin sehe in den Pannen keinen Grund, ihre Auffassung zu ändern, dass die Nuklearenergie sowohl zum Export als auch als Brückenenergie auf absehbare Zeit unverzichtbar sei.

Auch innerhalb der eigenen Partei stießen die Positionen des Umweltministers auf wenig Gegenliebe. Gabriel liegt mit Kiels Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) über Kreuz. Der Bundesminister überschritt nach Einschätzung der Kieler Atomaufsicht deutlich seine Kompetenzen. Gabriel hatte am Sonntag vollmundig angekündigt, dass Krümmel nur mit seiner Zustimmung wieder ans Netz gehen darf. Einen solchen Bundesvorbehalt gibt es im Atomgesetz nicht. Zuständig sind die Länder. Darauf wurde Gabriel aus Kiel energisch hingewiesen. Hintergrund: Der Bundesminister kann die Entscheidung allenfalls an sich ziehen, wenn eine Landes-Atomaufsicht kläglich versagt. Dafür gibt es bisher aber keine Hinweise. Gestern Vormittag griff SPD-Landeschef Ralf Stegner ein. Er bat Gabriel telefonisch angeblich darum, die Kieler Atomaufsicht nicht öffentlich zu düpieren. Und Trauernicht betonte: "Der Übertragung der gesamten Atomaufsicht auf den Bund erteile ich eine klare Absage."

Die Sozialministerin wies Gabriel zugleich in die Schranken. Sie kommentierte die Forderung des Ministers, die ältesten Meiler abzuschalten, bissig: "Ich würde es sehr begrüßen, wenn Minister Gabriel dieses auf Bundesebene durchsetzen könnte." Gabriel und Trauernicht kennen sich noch aus ihrer gemeinsamen Zeit in Niedersachsen. Gabriel war Ministerpräsident in Hannover, Trauernicht seine Sozialministerin.

Auch in Gabriels Heimat lösten dessen Forderungen Unmut aus. Hintergrund für den Vorstoß des Ministers soll das Verhalten Niedersachsens gewesen sein: Das Land habe bestimmte Unterlagen nicht eingereicht, so ein Sprecher Gabriels. Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) wies die Kritik zurück. Die Weisung habe sich erledigt, da den Forderungen bereits am Donnerstag entsprochen worden sei, erklärte Sander. Gabriel habe sich als Fachpolitiker "disqualifiziert".

Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) forderte, dem Bund jegliche Verwaltungskompetenz für die Kernenergie zu entziehen. "Das Bundesumweltministerium hat weder die Fachleute noch die Kenntnisse, noch die Ortsnähe", sagte Söder dem Radiosender Antenne Bayern.