Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer kniffligen Aufgabe: Dürfen die Kirchen klagen, wenn an einigen Sonntagen die Geschäfte geöffnet sind?

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer Grundsatzentscheidung über den Schutz der Sonntagsruhe durch das Grundgesetz. In einer Anhörung haben die Karlsruher Richter die Beschwerden der beiden großen Kirchen gegen die großzügigen Regeln im Land Berlin geprüft, wo die Geschäfte an bis zu zehn Sonn- und Feiertagen pro Jahr öffnen dürfen.

Nach den Worten des Gerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier wirft das Verfahren die Grundsatzfrage „nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen auf“. Ein Urteil wird frühestens in einigen Wochen erwartet. Mit scharfer Kritik wandten sich die Kirchen gegen die seit November 2006 geltenden Vorschriften. „Die Bestimmungen höhlen den verfassungsrechtlichen Schutz des Sonntags in unerträglicher Weise aus,“ sagte Kardinal Georg Sterzinsky. Wolfgang Huber, Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, warf dem Land Berlin vor allem wegen der Freigabe aller vier Adventssonntage einen „beunruhigenden Mangel an religiöser wie kultureller Achtung“ vor. Damit greife Berlin „in eklatanter Weise in den kirchlich geprägten Jahreslauf“ ein. Eine weitgehende Ladenöffnung entziehe den christlichen Kirchen wesentliche Voraussetzungen dafür, ihrem Auftrag nachzukommen.

Geklagt haben die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg/Schlesische Oberlausitz sowie das Erzbistum Berlin. Die Ladenschlussregeln, die nach der Föderalismusreform von 2006 in der Zuständigkeit der Länder liegen, verletzen aus ihrer Sicht die Religionsfreiheit und namentlich den besonderen Schutz des Sonntags im Grundgesetz. Im Kirchenartikel 139, übernommen aus der Weimarer Verfassung, heißt es: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“

Diesen Schutz sieht das Land Berlin nach wie vor gewährleistet. Die Berliner Regelung sei nicht – wie behauptet – die großzügigste. Wegen der unklaren Vorschriften in anderen Ländern sei die Sonntagsöffnung dort noch mehr ausgeweitet worden, sagte Verbraucherschutzsenatorin Katrin Lompscher (Linke). Die Beschwerde der Kirchen sei von vornherein unzulässig, weil es bei der Sonntagsöffnung um eine – vom Gesetzgeber zu beantwortende – gesellschaftspolitische Frage gehe. Auch nach den Worten von Präsident Papier gehört es zu den zentralen Fragen des Verfahrens, inwieweit die Kirchen den Sonntagsschutz überhaupt gerichtlich einklagen können.

Vertreter des Einzelhandels zeichneten ein positives Bild der liberalisierten Ladenöffnungszeiten. Der Beschäftigungsgrad im Einzelhandel sei stabilisiert worden, und die Zahl der Berlinbesucher in der Adventszeit sei seit Geltung der Sonntagsöffnung deutlich nach oben gegangen, sagte Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Die Beschäftigten würden nicht über Gebühr in Anspruch genommen: 54 Prozent arbeiteten an nur zwei Sonntagen jährlich, weitere 35 Prozent an fünf Sonntagen – mehr arbeite niemand.

Die Gewerkschaft Ver.di dagegen unterstützt die Klage. 75 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel seien Frauen, die sich häufig daneben um die Familie kümmerten, sagte Ulrich Dalibor. „Gerade arbeitende Menschen brauchen den freien Sonntag."