Die Grünen distanzieren sich weiter von Union und FDP. Der linke Flügel setzt seine Forderungen durch. Dazu gehört auch ein Mindestlohn von 7,50 Euro.

Berlin. Fast flehentlich klang es, als Claudia Roth die Delegierten gestern Morgen im Berliner Tempodrom mit den Worten beschwor: "Lasst uns dafür sorgen, dass dieser Parteitag ein perfekter Parteitag ist!" Denn jetzt stand nach dem schier endlosen, aber harmonisch verlaufenen Diskurs über die Paragrafen des Wahlprogramms die vom Vorstand gefürchtete Debatte um das Wahlziel auf dem Programm.

Perfekt, das meinte in der Logik Roths vor allem eines: Nicht auf den letzten Metern doch noch vor allen Kameras in Streit auszubrechen und damit die Fernsehbilder vom Vortag zu konterkarieren, als man ohne hitzige Wortgefechte die mehr als 1200 Änderungsanträge abarbeitete.

Doch würde die Basis tatsächlich dem vom Vorstand vorgeschlagenen Weg folgen, im Grünen-Aufruf zur Bundestagswahl nur ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP auszuschließen - und sonst gar nichts? "Wir stellen unsere Inhalte zur Wahl", hämmerte Roth den Delegierten nochmals die Formel ein, mit der die Partei ihre fehlende Festlegungsbereitschaft gerne beschreibt. Und: "Wir werden nicht gewählt für das Flirten mit anderen Parteien." Es gelte "grüne Eigenständigkeit, Eigenständigkeit Grün!".

Die Delegierten spielten zwar mit - selbst die ausgelosten Redner lobten auf dem Podium in goldenen Worten den Kompromiss. Doch auf den Fluren, im Foyer und vor der Veranstaltungshalle wurde die K-Frage umso heftiger debattiert. Und, wer weiß, vielleicht hätte es am Sonntag sogar doch noch eine offene Debatte um das Für und Wider eines - ja rechnerisch möglichen - Ampel-Bündnisses mit der SPD und den Liberalen gegeben.

Doch da war der Bundesvorsitzende der FDP vor, der sich nach der Lektüre des Grünen-Wahlprogramms via "Welt am Sonntag" zu Wort gemeldet und seine finale Absage an die Ampel formuliert hatte. Begründung: Die Wahlprogramme von SPD und Grünen seien praktisch inhaltsgleich mit dem der Linken.

Tatsächlich waren die Grünen im Velodrom auf noch mehr Distanz zu Union und FDP gegangen, als der Vorstand es eigentlich vorgesehen hatte. Eine knappe linke Parteitagsmehrheit beschloss gegen den Willen des Realo-Flügels einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn "von wenigstens 7,50 Euro". Noch mehr Delegierte votierten für einen Änderungsantrag, demzufolge im Gesundheitswesen sämtliche Medikamentenzuzahlungen und die Praxisgebühr wieder abzuschaffen seien. Auch hiervor hatten die Realos gewarnt, da das zur Folge haben könnte, dass die Krankenkassenbeiträge wieder steigen. Die FDP-Forderung nach Steuersenkungen wurde hingegen als populistisch gegeißelt - für Westerwelle eine Steilvorlage, um den Lagerwahlkampf auszurufen: Es gehe um die Frage, ob sich die geistig-politische Achse der Republik endgültig aus der Mitte nach links verschiebe. Das indes war der eher pragmatisch orientierten Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast dann doch zu viel der Provokation: "In welchem Land leben Sie eigentlich, Herr Westerwelle?", rief Künast in den Saal, "Ideologieklamauk des letzten Jahrhunderts" sei das. Fast ein wenig beleidigt klang das - schließlich hatte ausgerechnet Künast parteiintern erfolglos für die Ampel als Machtperspektive geworben.

Erfolglos blieb auch eine Initiative der Bundestagsabgeordneten Thilo Hoppe und Gerhard Schick, die eine Aufforderung an SPD und Linkspartei beschließen wollten, ihre Blockade von Rot-Rot-Grün aufzugeben. Die Parteiführung hatte schädliche, letztlich fruchtlose Debatten befürchtet. Der Wahlaufruf wurde schließlich mit großer Mehrheit von den Delegierten abgesegnet. Der grüne Wahlkampf hat begonnen.