Rechts Lastwagen, links Lastwagen und dazwischen kaum noch Platz: Welche beklemmenden Gefühle es auslösen kann, Deutschlands längste und gefährlichste Autobahnbaustelle zu passieren, erlebten Reporter Axel Tiedemann und Fotograf Ingo Röhrbein.

Der ADAC hatte noch gewarnt: "Nehmen Sie lieber den Umweg über A 7 und Walsrode nach Bremen." Nun sind wir trotzdem hier: A 1, Buchholzer Dreieck. Beginn der längsten Autobahnbaustelle Deutschlands. Wir wollen erfahren, was Tausende Autofahrer derzeit erdulden müssen: 72,5 Kilometer Absperrungen, schmale Spuren, Warnlampen, Staub, Staus, schweres Gerät. Und immer wieder Meldungen über Unfälle.

Schon kurz hinter Hamburg ist es vorbei mit dem sanften Dahinrauschen im Cabrio. Angespannt wie ein Floßfahrer kurz vor einer engen Wildwasser-Passage rollen wir auf den ersten Abschnitt zu. Bis 2012 wird die Angst vor Kollisionen viele Autofahrer hier wohl noch begleiten - dann soll die Strecke zwischen Hamburg und Bremen komplett von vier auf sechs Spuren ausgebaut sein. Das klingt lang, ist aber für deutsche Straßenbauverhältnisse sehr schnell und ein Novum zugleich: Der A-1-Ausbau ist eines von drei Autobahn-Projekten in Deutschland, die erstmals von privaten Firmenkonsortien nicht nur umgesetzt, sondern auch 30 Jahre lang betrieben werden sollen; bezahlt durch die Lkw-Maut.

Doch auch eine private Autobahnbaustelle bleibt eine Autobahnbaustelle: Schon gleich beim ersten Engpass wenige Kilometer vor der Abfahrt Rade ist es da, das Gefühl der Ausweglosigkeit: Rechts rumpelt ein 40-Tonner, die Geräusche seiner riesigen Lkw-Reifen unterdrücken jedes Gespräch. Eine kleine Kurve, die Räder kommen näher, drehen in Augenhöhe. Fast scheint es, als würde die rotierende Radnabe brutal zu uns herüberblicken: "Ihr Sonntagsfahrer, was macht ihr hier, das ist nur etwas für Profis", könnte sie sagen - nein, brüllen.

Auf der linken Seite prescht der Gegenverkehr vorbei, immer wieder Sattelzugmaschinen darunter, beladen mit scheppernden Containern. Getrennt von uns nur durch eine leichte, vielleicht einen Meter hohe Absperrung. Das dürfte so viel Sicherheit bieten wie ein Butterbrotpapier vor einer Kanonenkugel. Was passiert, wenn hier jemand ausschert, die Kontrolle verliert? Besser nicht darüber nachdenken, Augen auf und durch. Doch raus aus dieser Lkw-Falle geht es nicht. Vor uns hat es einen schwarzen Lieferwagen auf die linke Spur verschlagen. Nun traut er sich nicht vorbei an den Trucks, die in den engen Spuren hin und her mäandrieren. Eine beklemmende Situation, im doppelten Sinne: Erst am Wochenende ist ein Kleinbus in einer solchen Passage bei Sittensen auf die Gegenspur geschleudert worden, eine Frau wurde dabei getötet.

Auf andere Gedanken bringt uns zumindest für kurze Zeit einer der ersten "Entspannungsabschnitte" auf der Strecke. Solche Passagen mit normaler Fahrbahnbreite unterbrechen immer wieder den eigentlichen Baustellenbereich. Eine willkommene Erholungspause, die wir an der Raststätte Hollenstedt ein wenig ausdehnen wollen. Auf dem Parkplatz: ein älteres Hamburger Ehepaar. Vor ihrem schwarzen BMW diskutieren sie mit zwei Polizistinnen. "Mir bubbert noch bis hier das Herz", sagt die Frau und deutet auf ihren Hals. Vor wenigen Minuten erst ist es passiert. In unserer Lkw-Falle bei Rade. In der Kurve, die den engen Baustellenbereich einleitet, waren sich Lkw und Pkw zu nahe gekommen. Spiegel an Reifen, Reifen an Spiegel. Angst-Sekunden, viele Schrammen. Typisch für diese Baustelle, wo es immer wieder zu Unfällen mit Lkw-Beteiligung kommt, wie es beim ADAC heißt. Trotz Tempo 60 und Überholverbot. Mehr als 70 000 Fahrzeuge rollen hier im Durchschnitt pro Tag. Eine der meist befahrenen Straßen der Republik. Hinzu kommt der extrem hohe Lkw-Anteil von fast 25 Prozent. "Das ist der Hammer", so ADAC-Mann Carsten Wilms, "schon zehn Prozent gelten als kritisch." Und: Die A 1 ist eine alte Autobahn, bereits in den 20er-Jahren geplant. Heute ist sie daher viel schmaler als moderne Fernstraßen. Folge im Baustellenbereich: Die Überholspur bietet gerade mal zwei Meter Platz - da helfen nur gute Nerven und klappbare Außenspiegel.

Von der Raststätte geht's wieder auf die Straße, und der A-1-Kampf beginnt von Neuem. Durch die Baustellen mit Tunnelblick, begleitet von Lärm, Abgasen und dem stechenden Gestank heißer Bremsbeläge. Am Rand hohe Berge mit Betonschutt und verbogenen Moniereisen, die wie bizarre Wurzeln erscheinen. Es ist der Rest von alten Autobahnbrücken. 74 davon müssen hier jetzt abgerissen und durch neue ersetzt werden. Provisorische Stahlbrücken überspannen daher noch die A 1. "Brückenvermietung" lesen wir auf einem Firmenschild. Unglaublich, was man alles mieten kann ...

Insgesamt sind es 13 reine Bauabschnitte, die sich im Laufe der Jahre voranschieben. Einige Hundert Leute arbeiten dort ständig, heißt es bei der privaten A1mobil GmbH. "Wir liegen gut im Zeitplan", versichert die Firma. Hätte der Staat gebaut, würde es nicht vier, sondern acht bis zehn Jahre dauern, weil Geld nur für Einzelabschnitte vorhanden wäre, schätzt der ADAC. "Lieber vier Jahre Staufalle als zehn Jahre Dauerärger", sagt ADAC-Mann Wilms. Besonders montags und freitags, zu den typischen Pendlerzeiten, meldet der Verkehrsfunk regelmäßig Stillstand.

Für Trucker Christian sind es vor allem Wohnmobile, die ihn nerven. "Wenn man 80 fahren kann, fahren die 70, wenn 60 erlaubt sind, schleichen sie mit 50", schimpft er. "Aber ich muss meine Termine schaffen." Mit seinem blauen Scania, 40 Tonnen und 480 PS, treffen wir ihn an der Raststätte Grundbergsee, Fahrtrichtung zurück nach Hamburg. Der 39-Jährige, selbstständige Lkw-Fahrer aus Lübeck, muss hier eine vorgeschriebene Fahrpause einlegen und überlegt schon, wie er es wieder zurück auf die Straße schafft. Verdammt kurz sind die Aus- und Einfädelungen in Baustellen. Manchmal helfe da nur brutales Rausfahren, sagt Christian. Die A-1-Baustelle hält er für eine "Katastrophe". Baustellen gebe es zwar viele, "aber doch nicht über 70 Kilometer und so schmal, dass sie mir hier mit den Spiegeln am Reifen kratzen!"

Trotz solchen Ärgers sind es aber Trucker wie Christian, die den Ausbau quasi finanzieren. 2008 hatte ein Konsortium aus den beiden Baufirmen Bilfinger Berger (42,5 Prozent), Johan Bunte (15 Prozent) und dem britischen Investor John Laing (42,5 Prozent) den Zuschlag bekommen. Für rund 650 Millionen verbreitert das Gemeinschaftsunternehmen A1mobil GmbH nun die Autobahn und übernimmt für 30 Jahre die Instandhaltung. Dafür kann sie einen Teil der Lkw-Maut kassieren, die in dieser Zeit dort fällig wird. Zwischen 15,5 und 28,5 Cent zahlen Lkw-Fahrer je nach Schadstoffklasse pro Kilometer. Damit auch während der Bauphase Gebühren anfallen und die Lkw-Fahrer nicht ausweichen, bleiben laut ADAC meist zwei schmale Ersatzspuren für den Verkehr frei.

Auf Hunderten Seiten Vertrag haben sich Staat und Konsortium bei diesem Pilotprojekt abgesichert. Juristen und Berater dürften die ersten Millionen verdient haben, bevor überhaupt eine neue Fahrbahn fertig ist. Doch viele Vertragsdetails bleiben geheim, aus Wettbewerbsgründen angeblich. 2005 hatte die Große Koalition in Berlin beschlossen, solche öffentlich-privaten Partnerschaften zu forcieren, um Fernstraßen schneller ausbauen zu können. Und tatsächlich geht es auf der A 1 sehr zügig voran, bestätigt auch der ADAC. Wie es aber in 20 oder 25 Jahren aussieht? Ob die Autobahn dann von einem privaten Betreiber immer noch gut in Schuss gehalten wird - das werde sich erst zeigen.

20 Jahre sind im Moment weit weg. Wir wollen erst einmal wieder sicher in Hamburg ankommen: Inzwischen haben wir's auch gelernt, reihen uns brav in die Lkw-Kolonne ein und schleichen zurück. Überholen ist dann doch zu spannend. Am Buchholzer Dreieck haben wir's geschafft, lassen A 1, Großbaustelle und Konsortium hinter uns und biegen auf den Abzweiger zum Elbtunnel. Und dort, auf den letzten Kilometern, passiert's: der erste echte Stau. Nicht zwei Spuren, sondern nur eine führt an der nächsten kurzen Baustelle vorbei. Das Einfädeln wird zur Zeitfalle.

Dann rollen wir doch lieber mit schweißnassen Händen durch die Engpässe der A 1, wo es bei unserer Testfahrt mit Glück wenigstens noch vorangegangen ist. Der Lohn der Angst, wenn man so will.