Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion warnt davor, die Gesundheitsreform weiter infrage zu stellen- sie wird für Jahre gelten.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Röttgen, im Januar schnürt die Bundesregierung das zweite Konjunkturpaket. Was muss hinein?

Norbert Röttgen:

Entscheidend für die effektive Bekämpfung der Krise ist es, die Ziele zu definieren. Wir brauchen Impulse, die nachhaltig wirken und befristet sind. Ich halte es deshalb für richtig, in Bildung und Infrastruktur zu investieren. Solche Investitionen jetzt vorzuziehen bringt einen zusätzlichen konjunkturellen Impuls. Von Konsumgutscheinen halte ich nichts. Das ist etwas, was den Staat, also alle, viel kostet, aber ökonomisch und konjunkturell messbar nichts bringt.



Abendblatt:

Was halten Sie von Steuersenkungen, wie die CSU sie massiv fordert?

Röttgen:

Wie gesagt: Angesichts der derzeitigen Gegebenheiten müssen die Kriterien aus meiner Sicht lauten: unmittelbare Wirkung, Nachhaltigkeit und Befristung. Steuersenkungen für mittlere Einkommen sind nicht konjunkturell, sondern strukturell geboten. Darum müssen sie verlässlich und dauerhaft sein. Wir dürfen nicht auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben.



Abendblatt:

Alle Maßnahmen müssen finanziert werden. Die Bundesrepublik steuert auf eine Rekordverschuldung zu. Ist das zu verantworten?

Röttgen:

Unser Handeln in der Krise ist alternativlos. Wenn es uns gelingt, die konjunkturellen Impulse so zu setzen, dass unser Land durch die Modernisierung von Infrastruktur und Schulen reicher wird, haben wir die besten Chancen, auch künftig im internationalen Wettbewerb die Nase mit vorn zu haben.



Abendblatt:

In welcher Größenordnung wird sich die Neuverschuldung bewegen?

Röttgen:

Ich warne davor, in der Krise den Kompass über Bord zu werfen. Der Europäische Wachstums- und Stabilitätspakt sieht höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als gesamtstaatliche Neuverschuldung vor.



Abendblatt:

Der ausgeglichene Haushalt für 2011 wurde aufgegeben. Wann kommt das Ziel wieder in Sicht?

Röttgen:

Das Ziel ist nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.



Abendblatt:

Bis wann?

Röttgen:

Den Verlauf der Krise kann keiner vorhersagen.



Abendblatt:

Macht es Sinn, dass die Föderalismuskommission noch über Schuldenbremsen diskutiert?

Röttgen:

Mehr denn je! Die Schuldengrenze soll ja keine Fessel sein, die unbeweglich macht. Vielmehr hat sie den Zweck, in den guten Zeiten das Sparen zu befördern, damit Notgroschen für schlechtere Zeiten vorhanden sind. Die Krise ist eine Bestätigung für die Notwendigkeit einer solchen Regelung. Ich fürchte, die Linke in der SPD sieht das anders.



Abendblatt:

Am 1. Januar tritt die Gesundheitsreform mit dem neuen Gesundheitsfonds in Kraft. Lässt sich in der Finanzkrise der neue Einheitsbeitrag von 15,5 Prozent noch halten?

Röttgen:

Unbestritten richtig ist die Tatsache, dass bei sinkenden Beschäftigungszahlen auch die Beitragszahlungen an die Krankenkassen sinken. Ob und in welchem Umfang diese Prognosen im neuen Jahr wahr werden, kann man heute noch nicht sagen. Klar ist aber: Eine solche Entwicklung hat mit der Einführung des Gesundheitsfonds nichts zu tun - wenn weniger Beiträge fließen, kann kein Finanzierungssystem der Welt etwas daran ändern. Sollte es nötig werden, werden wir geeignete Maßnahmen ergreifen.



Abendblatt:

Der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder hat wiederholt kritisiert, der Gesundheitsfonds ebne den Weg in die Staatsmedizin. Hat er recht?

Röttgen:

"Ich bin dafür, dass man das umsetzt, was man ausgehandelt und vereinbart hat. Wenn man nicht dazu steht, versteht das die Bevölkerung nicht." Das war vor nicht allzu langer Zeit die Einschätzung des CSU-Vorsitzenden Seehofer zum Gesundheitsfonds. Ich gebe ihm uneingeschränkt recht.



Abendblatt:

Heißt das, Sie lassen sich auf keine Änderungen mehr ein?

Röttgen:

Wir haben das Thema Gesundheitspolitik und Gesundheitsfonds so intensiv diskutiert wie kein zweites Thema. Nun gilt es, verlässlich zu sein. Man kann Beschlossenes nicht permanent infrage stellen.



Abendblatt:

Und wenn Sie nach der Bundestagswahl mit der FDP regieren - kommt dann die Gesundheitsprämie?

Röttgen:

Mit dem Gesundheitsfonds ist eine Grundentscheidung getroffen. Man kann ein so großes elementares soziales Sicherungssystem nicht alle ein, zwei Jahre verändern. Das ist unwirtschaftlich und stiftet Verunsicherung bei den Menschen, die im Krankheitsfall versorgt sein wollen. Die Basis, auf der Gesundheitspolitik stattfindet, steht.



Abendblatt:

SPD-Fraktionschef Peter Struck hält die Koalition jetzt in der Krise für das beste Regierungsbündnis. Ist das so?

Röttgen:

Dem stimme ich so nicht zu. In einer Krise der Finanzmärkte war es vor allen Dingen wichtig, dass die staatlichen Institutionen auf der Basis von Vertrauen funktioniert haben. Das gilt auch für das Zusammenwirken von Regierung und Opposition. Unter dieser Prämisse wäre die Krisensituation auch von einer Kleinen Koalition mit einer verantwortlichen Opposition bewältigt worden.



Abendblatt:

Geht die Große Koalition mit der Bundestagswahl zu Ende?

Röttgen:

Das entscheidet der Wähler. Aber wenn es nach mir geht, ist es so. Offensichtlich wird alle paar Jahrzehnte eine Große Koalition gebraucht, um das zu erledigen, was in Jahrzehnten Kleiner Koalitionen nicht geschafft wurde, wie etwa Haushaltskonsolidierung. Aber indem sie diese Aufgaben erfüllt, macht sie sich auch überflüssig und schafft die Voraussetzungen für Kleine Koalitionen, die ich für besser halte.



Abendblatt:

Wäre auch eine Dreierkonstellation, wie etwa schwarz-gelb-grün einer Großen Koalition nach der Bundestagswahl vorzuziehen?

Röttgen:

Vorzuziehen ist eine Koalition der CDU/CSU mit einem kleinen Koalitionspartner.



Abendblatt:

Mit welchem?

Röttgen:

Ich bleibe bei meiner Formulierung.



Abendblatt:

Sind FDP oder die Grünen möglich?

Röttgen:

Die FDP steht uns näher als die Grünen.