Der FDP-Vorsitzende hält die CDU von Angela Merkel für inhaltlich beliebig, die SPD für nicht regierungsfähig. Die ersten Monate Schwarz-Grün in Hamburg wertet er als Debakel.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt:

Stellen Sie sich vor, in Hessen sind Neuwahlen, und Roland Koch holt die absolute Mehrheit. Wie sehr grämen Sie sich?

Guido Westerwelle:

Diese Gedanken muss ich mir nicht machen. Die FDP wird ihr gutes Ergebnis vom Jahresbeginn noch übertreffen, weil wir Wort gehalten haben und von unserer Koalitionsaussage zugunsten der Union nicht abgewichen sind.



Abendblatt:

Schließen Sie Koalitionen mit anderen Parteien weiter aus?

Westerwelle:

Die FDP wird wieder eine glasklare Koalitionsaussage machen. Den Spitzenkandidaten der SPD kenne ich nicht einmal. Bisher wusste man nur, was ein Schattenkabinett ist. Jetzt weiß man auch, was ein Schattenkandidat ist.



Abendblatt:

Der vergangene Wahlkampf von Roland Koch schreckt Sie nicht ab?

Westerwelle:

Ich appelliere an die Union, dass sie ihre schweren Fehler aus dem letzten Wahlkampf nicht wiederholt. Es war völlig inakzeptabel, dass das ernste Thema Jugendkriminalität zu einem Wahlkampfmanöver durch Herrn Koch gemacht worden ist.



Abendblatt:

Hessen ist Auftakt zum Superwahljahr 2009. Wie wichtig ist es für Sie persönlich, dass die FDP nach elf Jahren Opposition wieder im Bund regiert?

Westerwelle:

Wir wollen regieren. Nicht, weil einige von uns etwas werden wollen. Sondern damit die lähmende Hängepartie der Großen Koalition ein Ende findet. Union und SPD stolpern über Klein-Klein und sind zur Gestaltung der Zukunft nicht in der Lage, denken Sie nur an diese bürokratische, familien- und mittelstandsfeindliche Erbschaftssteuerreform. Schwarz-Gelb in Hessen wäre ein wichtiges Signal für die Bundestagswahl. Ich setze deshalb auf klare bürgerliche Verhältnisse.



Abendblatt:

Eine schwarz-gelbe Mehrheit ist alles andere als sicher. Schließen Sie aus, dass Frank-Walter Steinmeier am Ende mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP zum Bundeskanzler gewählt wird?

Westerwelle:

Das halte ich zurzeit für absolut unwahrscheinlich. Die SPD ist in ihrem jetzigen Zustand gar nicht regierungsfähig. Sie ist ja nicht mehr eine Partei, sondern besteht aus drei bis vier Parteien. Mit wem wollen Sie denn noch Verträge machen bei den Sozialdemokraten? Die Weichenstellung bei der nächsten Bundestagswahl wird sein: Entweder es gibt eine bürgerliche Mehrheit, oder es gibt eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei. Und wenn es eine linke Mehrheit gibt, gibt es auch eine linke Regierung.



Abendblatt:

Dem steht ein Vorstandsbeschluss der SPD entgegen.

Westerwelle:

Dann wird eben Herr Müntefering zum zweiten Mal zurücktreten, und Herr Steinmeier wird in die Wirtschaft gehen, ebenso Herr Steinbrück. Herr Wowereit und Frau Nahles machen Rot-Rot-Grün im Bund sofort. Dass die SPD von jetzt auf gleich störende Vorsitzende abräumt ohne jede Solidarität und Loyalität, haben wir in den letzten Jahren regelmäßig erlebt.



Abendblatt:

Was ist mit den Grünen? Können Sie sich vorstellen, mit Künast, Özdemir und Trittin an einem Kabinettstisch zu sitzen?

Westerwelle:

Wie es bei den Grünen nächsten Herbst aussieht, kann kein Mensch sagen. Hinter dem großen Theater der SPD findet ja auch eine Richtungskrise der Grünen statt. Dass der neue Vorsitzende, Herr Özdemir, von seiner eigenen Partei nicht einmal für den Bundestag aufgestellt worden ist, mindert seine Autorität erheblich. Selbst ein einstimmiges Wahlergebnis beim Bundesparteitag der Grünen an diesem Sonnabend in Erfurt kann das nicht heilen.



Abendblatt:

Das muss Sie nicht stören.

Westerwelle:

Wir erleben bei den Grünen eine enorme Fundamentalisierung. Sie haben versucht, in Hessen mit Sozialisten und Kommunisten zu paktieren. In dieser Woche haben sich Spitzen-Grüne an der Blockade eines Castor-Transports beteiligt. Dabei verschweigen sie, dass Herr Trittin als Bundesumweltminister selbst für fünf Castor-Transporte verantwortlich war. Das ist eine ziemliche Heuchelei. Ich appelliere an die Grünen, auf ihrem Parteitag ein Stück zurück in die Mitte zu finden und ihre Regierungsfähigkeit nicht völlig zu verspielen.



Abendblatt:

In Hamburg regieren die Grünen mit der CDU. Manche sehen darin einen Testlauf für den Bund. Das muss Sie alarmieren.

Westerwelle:

Die ersten Monate Schwarz-Grün in Hamburg waren ein einziges Debakel. Regierungsfähigkeit bedeutet nicht, dass man mit faulen Kompromissen zusammenbleibt. In Hamburg mussten Union und Grüne sogar heimliche Abreden treffen, weil sie sonst der Zorn der Wähler getroffen hätte.



Abendblatt:

Die FDP in Hamburg zerlegt sich. Leiden Sie manchmal an Ihrem Landesverband?

Westerwelle:

Es geht nicht um mich, es geht um Hamburg und Deutschland. Mit mir muss keiner Mitleid haben.



Abendblatt:

Also leiden Sie.

Westerwelle:

Ich freue mich, dass wir in 13 Landtagen wieder vertreten sind. Ich freue mich, dass wir in den vier größten Bundesländern wieder Regierungsverantwortung haben. Die FDP ist in Deutschland klar die drittstärkste Kraft. Ich weiß, dass die Hamburger Parteifreunde dieses auch schaffen können, wenn sie sich einig und geschlossen an den Interessen des Volkes orientieren.



Abendblatt:

Frau Merkel bedeutet Schwarz-Grün in Hamburg sehr viel ...

Westerwelle:

Natürlich bedeutet ihr diese Koalition sehr viel, sie bedeutet der ganzen Union sehr viel. Die Union wird im Zweifelsfall mit jeder Partei zusammen regieren und jeden faulen Kompromiss in Kauf nehmen, solange sie an der Macht bleiben kann. Die Union wird langsam zum Kanzlerinnenwahlverein. Wo sind denn noch die Inhalte - die ganzen Steuer- und Abgabenerhöhungen der letzten Jahre gingen doch voll zulasten der Mittelschicht, des Rückgrats unserer Gesellschaft.



Abendblatt:

Mit der SPD hat die Union in dieser Woche den Weg für die umstrittene Online-Durchsuchung privater Computer frei gemacht. Hat das BKA-Gesetz Bestand, wenn die FDP an der Regierung ist?

Westerwelle:

Ich werde der Versuchung zur unüberlegten Vollmundigkeit, was wir nach der Bundestagswahl machen werden, nicht erliegen. Wir prüfen gerade, wegen des Bundeskriminalamtsgesetzes das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ich sehe mit großer Sorge, dass das BKA zu einer Art Super-FBI ausgebaut werden soll - und das ohne ausreichende rechtsstaatliche Kontrolle.



Abendblatt:

Die Finanzkrise stellt die Große Koalition vor ihre größte Bewährungsprobe. Betreibt die Merkel-Regierung wirkungsvolles Krisenmanagement?

Westerwelle:

Ich habe vor wenigen Tagen mit einem internationalen Repräsentanten gesprochen, der die Formulierung prägte: Erst lag sie falsch, und dann kam sie zu spät. Die Liberalen haben dem Rettungsschirm für die Finanzbranche zugestimmt - aus staatspolitischer Verantwortung in der Stunde der Not. Die Krisenmanager in Europa sind Großbritanniens Premierminister Gordon Brown und Frankreichs Präsident Sarkozy.



Abendblatt:

Zuletzt hat die Große Koalition ein milliardenschweres Konjunkturpaket auf den Weg gebracht ...

Westerwelle:

... das einem Treppenwitz gleichkommt. Als ob irgendein Deutscher einen Neuwagen kaufen würde, weil die Regierung bei der Kfz-Steuer 100 Euro nachlässt. Das kosten fast schon die Fußmatten, die man beim Autokauf ohnehin schnell heraushandelt. Kein einziger Arbeitsplatz wird durch dieses Verbrennen deutscher Steuergelder gesichert. Für wie dumm hält diese Regierung unser Volk?



Abendblatt:

Welche Antwort haben Sie denn auf die Finanzkrise?

Westerwelle:

Erstens: endlich eine Steuerstrukturreform auf den Weg bringen. Zweitens: Investitionen in unsere Infrastruktur. Und drittens: Bildung, Bildung, Bildung.