Landeschefin Andrea Ypsilanti lässt ihrem Vertrauten den Vortritt. Das Protokoll eines turbulenten Wochenendes.

Hamburg. "Man entdeckt sein Gewissen nicht 24 Stunden vor einer wichtigen Abstimmung." In der Sendung "Anne Will" gestern am späten Abend in der ARD kritisierte Andrea Ypsilanti die vier Landtagsabgeordneten, die ihr die Zustimmung verweigert hatten. Es hätte so viele Gelegenheiten zu einem Gespräch gegeben, sagte die SPD-Politikerin. "Es war unfair der ganzen Partei gegenüber und allen Beteiligten - auch dem Koalitionspartner übrigens."

Ihren Entschluss, Landes- und Fraktionsvorsitzende in Hessen zu bleiben, verteidigte Andrea Ypsilanti in der Fernsehdiskussion: "Ich glaube, es ist nicht fair, einfach von Bord zu gehen und die Partei alleinzulassen."

Ypsilantis Auftritt - Abschluss eines bewegten Wochenendes, das in Frankfurt am Main mit einer turbulenten Sitzung des SPD-Landesparteirats begann:

Sonnabend, 9 Uhr: Im Wilhelm-Leuschner-Saal des Gewerkschaftshauses am Rande der City versammeln sich die Mitglieder des Landesparteirats. Auf der Tagesordnung ein einziger Punkt: "Die aktuelle politische Situation und der Bericht unserer Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti". Nicht nur in der Bankenmetropole ist man gespannt, was die zweimal gegen die Wand gelaufene Frontfrau der hessischen Genossen hier heute zu erklären hat. Ganz Deutschland blickt auf das DGB-Gebäude, in dem schon 20 Minuten vor Beginn der Sitzung zur Abschirmung vor den an Haupt- und Hintereingang lauernden Fotografen die Vorhänge zugezogen werden. Wilde Spekulationen machen die Runde: Wird Ypsilanti allen Unkenrufen zum Trotz bei der Neuwahl im Januar wieder als Spitzenkandidatin für die SPD antreten, diesmal ohne jede Koalitionsaussage? Oder, was als wahrscheinlicher gilt, Manfred Schaub, den bodenständigen Vorsitzenden der SPD Hessen-Nord als Herausforderer von Roland Koch ins Rennen schicken? Tritt sie gar auch vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurück? Drei Stunden tagen die Sozialdemokraten hinter verschlossenen Türen, nur Beifall ist bisweilen zu hören. Und später das Gerücht, dass offenbar ein Herr Schäfer-Gümbel als Spitzenkandidat antreten soll, den kaum einer kennt. Sonnabend, 12 Uhr: Ypsilanti bittet zum Gespräch, neben ihr ein Mann mit Brille - Schäfer-Gümbel. Sie gesteht Fehler ein und erläutert, warum sie ihrer Partei vorgeschlagen hat, mit einem neuen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zu gehen - "unter anderem auch deshalb, weil wir niemandem gönnen wollen, mit der Frage von Glaubwürdigkeit und Wortbruch die Themen zu überlagern, mit denen wir in den Wahlkampf ziehen wollen." Sie votiere also für einen Vertreter der "nächsten Generation" - eben Thorsten Schäfer-Gümbel. Der enge Vertraute der Landeschefin, der es richten soll, prophezeit einen anstrengenden Wahlkampf, es gelte aber die Parole "Jetzt erst recht".

Sonnabend, Früher Nachmittag: Aus Berlin meldet sich Parteichef Franz Müntefering zu Wort. Er sagt, er nehme Ypsilantis Verzicht auf die Spitzenkandidatur "mit Respekt" zur Kenntnis, die Entscheidung mache "den Weg frei für eine Verjüngung und einen Neustart". Voraussetzung für einen Wahlerfolg aber folgende Losung: "Ehrlich die Fehler der Vergangenheit benennen, sie aufarbeiten, daraus lernen und den Blick nach vorne richten."

Sonnabend, kurz nach 22 Uhr: Die Parteichefin gibt sich kurz nach 22 Uhr in den "Tagesthemen" angespannt unerschütterlich. Es gebe mit Schäfer-Gümbel "gute Chancen" für eine Ablösung des ungeliebten Roland Koch, belehrt sie die Moderatorin Caren Miosga.


Der Weg von Andrea Ypsilanti ins politische Abseits auf www.abendblatt.de/ypsilanti