Frank-Walter Steinmeier muss in den verbleibenden zwölf Monaten bis zur nächsten Bundestagswahl ein ganzes Bündel schwierigster Aufgaben bewältigen.

Hamburg. Frank-Walter Steinmeier muss in den verbleibenden zwölf Monaten bis zur nächsten Bundestagswahl ein ganzes Bündel schwierigster Aufgaben bewältigen. Er muss seine Partei einigen, die angeschlagene SPD konzeptionell und strategisch auf Kurs bringen, Wahlkampf machen und weiter sein Amt als Außenminister ausfüllen. Gleichzeitig muss er sich gegenüber seiner Chefin, Angela Merkel, als der bessere Kanzler profilieren. Ein Sisyphos-Job, der Steinmeier auch in menschliche Grenzregionen führt? Denn wie kann das gehen: gemeinsam regieren und gleichzeitig seinen Partner bekämpfen? Droht der Koalition nun das vorzeitige Aus?

Ein Blick zurück in die bislang einzige Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik zeigt, dass die Hauptakteure damals, Kurt Georg Kiesinger (CDU) als Kanzler und Willy Brandt (SPD) als Vize, durchaus in der Lage waren, das Land effizient zu regieren. Das galt vor allem für den Bereich der Wirtschaft und Finanzen. Persönliche Animositäten, die sich allein aus der Lebensgeschichte der beiden Politiker hätten ergeben können - Kiesinger war während der Nazi-Zeit NSDAP-Parteimitglied, der Sozialdemokrat Willy Brandt hatte Deutschland verlassen - spielten im Regierungsgeschäft keine Rolle. Der damalige Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler Jahrzehnte später: "Niemand stellte öffentlich Bedingungen. Jeder gab sich Mühe, eine Demütigung des anderen zu vermeiden."

Freilich schloss der zivilisierte Umgang mit dem Partner auch heftige Auseinandersetzungen nicht aus. Das galt vor allem für das Gebiet der Gesellschaftspolitik und wurde durch die Lagerzuordnung gespeist. Während Brandt und seine SPD hinter der 68er-Bewegung standen, blieben die demonstrierenden Studenten dem konservativen Schwaben fremd. Unterschiedliche Auffassungen sorgten auch in der Außenpolitik regelmäßig für polemische Töne. Immerhin konzipierte die SPD schon damals die neue Ostpolitik, während die CDU sich noch in der bloßen Abwehr des Kommunismus erschöpfte. Verschlechterte sich die Stimmung zwischen den Partnern zu sehr, traf man sich im kleinen Kreis zu Harmoniesitzungen. Dieses sogenannte Küchenkabinett, zu dem außer Kiesinger und Brandt auch die Fraktionschefs Helmut Schmidt und Rainer Barzel gehörten, geriet bald in den Verdacht, eine Art Nebenregierung zu sein. Soziologen sprachen später von einer "Verhandlungsdemokratie". Noch einmal Erhard Eppler: "Was in der Regierung gelang, wurde gestützt durch das Vertrauensverhältnis zwischen Schmidt und Barzel."

In der derzeitigen Koalition übernimmt diese Aufgabe ein Koalitionsausschuss, der personell stärker besetzt ist als in der Zeit zwischen 1966-1969. Und heute wie damals gibt es ein enges freundschaftliches Verhältnis der Fraktionsspitzen Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD). Auch wenn sich Geschichte angeblich nicht wiederholt, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Große Koalition in Berlin und ihre Hauptakteure in ihrem letzten Regierungsjahr ähnlich verhalten wie ihre Vorgängerin im Bonn der 60er-Jahre.

Erleichtert wird die Situation heute durch die Tatsache, dass Angela Merkel und ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier im letzten Jahr dieser Legislatur keine ganz großen Themen mehr abhandeln müssen. Zwar werden die Pendlerpauschale, die Atomendlager-Debatte und auch die Gesundheitsreform noch ausreichend Konfliktstoff geben. Doch wissen beide, dass sie in diesen Fragen zu Kompromissen verurteilt sind. Im Übrigen sind sowohl Steinmeier als auch Franz Müntefering Protagonisten der Koalition mit der CDU/CSU.

So kann sich der Bürger wohl auf ein Jahr mit viel Hader innerhalb der Regierungsparteien einstellen, doch gilt heute wie 1967, als die Presse auch schon die Frage nach dem Platzen der Großen Koalition stellte, dieselbe Antwort: "Die Ehe muss halten." Niemand weiß das besser als Merkel und Steinmeier.