Erst will die Parteiführung den inhaltlichen Kurs für den Wahlkampf abstecken. Weiter Kritik an Strategiepapier des linken Flügels.

Berlin. Die SPD-Führung will sich nicht dazu drängen lassen, früher als bisher geplant ihren Kanzlerkandidaten zu küren. An diesem Sonntag gehe es bei der Klausur der SPD-Spitze "um inhaltliche und strategische Fragen", sagte Parteisprecher Lars Kühn und wies Berichte zurück, die Entscheidung zwischen Parteichef Kurt Beck und seinem Vize Frank-Walter Steinmeier solle vorgezogen werden. Die Kandidatenfrage werde "zum richtigen Zeitpunkt entschieden", so Kühn. Bisher sollte dieser Zeitpunkt irgendwann zwischen Ende September, also nach der Bayernwahl, und Weihnachten liegen. Daran soll auch der unter den Genossen ausgebrochene Flügelstreit nichts ändern: "Wir bleiben bei unserem Zeitplan."

Das unterstützt speziell der konservative Teil der SPD. Der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, sagte dem Abendblatt: "Wir müssen als Koalition erst noch wichtige Sachen wie etwa die Erbschaftssteuerreform von der Pfanne kriegen. Mit einer Kandidatenernennung würde der Wahlkampf beginnen, das will niemand. Es ist besser, man schiebt das weiter nach hinten, wie es die SPD ja auch beschlossen hatte." Insofern hält er eine frühere Nominierung als bisher angekündigt für "abwegig". Der Parteilinke Ottmar Schreiner hingegen sagte dem Sender N24: "Ich hätte nichts dagegen, die Nominierung vorzuziehen." Wie der Vorschlag dann aussehe, sei Sache des Parteivorsitzenden.

Auf der Klausurtagung am brandenburgischen Schwielowsee wollen Beck und Steinmeier einen gemeinsamen Vorschlag für ein Strategiepapier zum längerfristigen Kurs der Sozialdemokraten präsentieren, das als Basis für ein Wahlprogramm dienen soll. Das Papier müsste die gerade besonders widersprüchlichen Vorstellungen der Parteilinken und der Konservativen unter einen Hut bringen.

Linksvertreter um Schreiner hatten einen Aufruf zu einer Änderung der Steuer- und Sozialpolitik gestartete, in dem sie unter anderem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und ein Stoppen der Rente mit 67 forderten - faktisch die Abschaffung der Reformen aus der Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard Schröder. Der Aufruf sei ein "Beitrag für eine produktive Diskussion, an der die SPD nicht vorbeikommt", sagte Schreiner der "Frankfurter Rundschau". Die desolaten Umfragewerte für die SPD könnten sich nur verbessern, wenn die Partei "glaubwürdig für mehr Gerechtigkeit" eintrete. Er fordert "das Eingeständnis, dass die Arbeitsmarkt-, Renten- und Steuerpolitik der vergangenen zehn Jahre die sozialen Spaltungen in Deutschland vertieft und verbreitert hat". So sei die Arbeitsmarktreform Hartz IV "zum Symbol für den Niedergang der modernen Sozialdemokratie" geworden.

Das Papier sei nicht Beschlusslage der SPD "und es ist nicht die Meinung der Führung der SPD", konterte Generalsekretär Hubertus Heil im WDR. Er wies den Aufruf als "rückwärtsgewandt" zurück: "Dieses Papier atmet einen Geist von gestern." Es sei so überflüssig wie ein Kropf. Für die SPD bemesse sich die Qualität des Sozialstaats nicht allein an der Höhe des sozialen Transfers, sondern auch daran, "ob Menschen wieder klare Lebenschancen bekommen und sozialer Aufstieg möglich ist".

Ähnlich fasste es Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der IG Chemie. Er warf den Unterstützern des Aufrufs vor, "illusionäre und rückwärtsgewandte Positionen" zu vertreten. Den "Wettlauf mit der Linkspartei um die schönsten Zielformulierungen" könne man nicht gewinnen, sagte Schmoldt der "Frankfurter Rundschau". Der Kieler Arbeitsminister Uwe Döring (SPD) sagte: "Das Papier enthält in vieler Hinsicht Banales, und der Rest ist grober Unfug." CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla fand ein noch deutlicheres Urteil: Das Papier fordere "Freibier für alle".