Hamburg. Im Streit über die Rentenerhöhung und die künftige Macht der Senioren als Wählergruppe hat Alt-Bundespräsident Roman Herzog den Zorn der Wohlfahrtsverbände auf sich gezogen. Herzog hatte vor einer Ausplünderung der Jüngeren durch die Älteren gewarnt und erntete dafür scharfe Kritik. Der Verband Volkssolidarität warf ihm gar "geistige Brandstiftung" vor.

Herzog hatte der "Bild"-Zeitung gesagt: "Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentnerdemokratie." Die Älteren würden immer mehr, und alle Parteien nähmen überproportional Rücksicht auf sie: "Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern." Aus Sorge um zu viel Rücksicht der Politiker auf die wachsende Gruppe älterer Wähler fordern junge Abgeordnete verschiedener Parteien, wie berichtet, das Wahlalter auf 14 Jahre zu senken. Ein Vorschlag, für den die ehemalige Hamburger und Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) vor zehn Jahren heftige Kritik erntete. Das Abendblatt sprach mit der Rechtsanwältin über den neuen Vorstoß.


Abendblatt:

Es wird wieder eine Absenkung des Wahlrechtsalters diskutiert, um in einer alternden Gesellschaft den Jüngeren mehr Gewicht zu geben. Glauben Sie, dass die Zahl der Befürworter wächst?

Lore Maria Peschel-Gutzeit:

Ich denke ja. Ich glaube, dass gerade die jetzige Rentendiskussion die jungen Leute aufgebracht hat. Sie erkennen, dass sie die aktuellen Rentenerhöhung zahlen müssen und für sie selbst später nichts übrig bleibt. Es war auch schon damals unser Argument, dass der Generationenvertrag in eine Schieflage gerät.



Abendblatt:

Ist eine Verschiebung des Wahlrechtsalters ein Weg für mehr Gerechtigkeit in dieser Frage?

Peschel-Gutzeit:

Ein Vorgang wie jetzt, bei dem mit einer Rentenerhöhung von wenigen Euro den einzelnen Rentnern nicht wirklich geholfen wird, das Geld aber an anderer Stelle fehlt, zeigt ganz deutlich, dass man Politik so nicht machen darf. Das müssen die Jüngeren verhindern, und deren Wählerzahl muss wachsen. Es ist sinnvoll, jedenfalls das Wahlalter zu senken, damit die Stimmen derer, die das alles in der Zukunft bezahlen sollen, wenigstens mitgehört werden.



Abendblatt:

Hat jemand mit 12 oder 14 Jahren schon den Überblick, um in politischen Fragen mit abzustimmen?

Peschel-Gutzeit:

Erlauben Sie mir eine Gegenfrage. Glauben Sie, dass jeder 70- oder 80-jährige Mensch das noch beurteilen kann? Wir machen doch auch sonst die konkrete Einsichtsfähigkeit nicht zur Voraussetzung für die Wahl.



Abendblatt:

Wäre es dann auch verfassungsrechtlich kein Problem, das Wahlalter zu senken?

Peschel-Gutzeit:

Ganz sicher nicht. Wir haben es schon mal in den 70er- Jahren von 21 auf 18 Jahre gesenkt. In manchen Landesverfassungen wählt man mit 16. Man kann es machen, man muss es nur wollen. Ich bin immer noch der Meinung, das Wahlrecht soll von Geburt an als Grundrecht gelten. Solche Vorschläge gibt es auch jetzt, zum Beispiel im Bundestag. Solange die Kinder es nicht können, wählen stellvertretend die Eltern. In dem Augenblick, in dem der junge Mensch selbst wählen will, lässt er sich in eine Wahlliste eintragen.