Das “Turbo-Abitur“ binnen acht Jahren sorgt dafür, dass bereits Fünftklässler privaten Unterricht in Anspruch nehmen.

Frankfurt/Main. Bildung wird immer wichtiger, und Nachhilfe ist "in": Mindestens eine Milliarde Euro lassen sich die Eltern in Deutschland Schätzungen zufolge die außerschulische Unterstützung ihrer Kinder jährlich kosten, die Gewerkschaft GEW geht sogar von der doppelten Summe aus.

Rund ein Viertel aller Schüler war einer Studie zufolge schon einmal beim Nachhilfeunterricht - und das immer früher: Fast jeder zehnte Grundschüler macht Erfahrungen mit Nachhilfe, um beim Sprung auf die weiterführende Schule nicht abgehängt zu werden.

Das sei auch eine Folge der Pisa-Studie, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer. "Bis dahin war Nachhilfe an Grundschulen eher die Ausnahme."

Entgegen den Erwartungen hat der erhöhte Leistungsdruck durch die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren (G8) dagegen keinen zusätzlichen Nachhilfe-Boom entfacht. "Jeder hat das Gefühl, aber die Studien zeigen es nicht", sagt die Vorsitzende des Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN), Cornelia Sussieck.

Die Nachfrage ist dem Marktforschungsinstitut Synovate zufolge seit Anfang des Jahrzehnts kon-stant geblieben. Die Firma Studienkreis, einer der beiden führenden kommerziellen Anbieter, kann ebenfalls keine gestiegene Nachfrage wegen des "Turbo-Abiturs" bestätigen.

Einen "G8-Effekt" sieht Sussieck aber darin, dass Gymnasialschüler heute schon in der 5. Klasse außerschulische Hilfe suchten. "Das war früher die Ausnahme, das begann sonst klassischerweise in der 7. oder 8. Klasse mit der Pubertät." Ein Drittel des lukrativen Milliardenmarktes sichern sich laut Sussieck kommerzielle Institute, die größten sind Studienkreis und Schülerhilfe mit jeweils mehr als 1000 Niederlassungen. Am häufigsten wird der Nachhilfeunterricht aber privat organisiert: Die meisten Eltern wenden sich an Lehrer, Studenten, ältere Schüler oder Bekannte, um ihren Sprösslingen auf die Sprünge zu helfen.

Nachhilfe zu nehmen gehört heute fast dazu und hat den peinlichen Stallgeruch vom blauen Brief und Sitzenbleiben verloren. Laut Synovate sind 40 Prozent der Nachhilfeschüler nicht akut versetzungsgefährdet, sondern wollen lediglich ihre Noten verbessern. Der Bielefelder Wissenschaftler Eiko Jürgens stellte bei Schülern des Studienkreises in drei Vierteln der Fälle eine "zensurenmäßig abbildbare Leistungsverbesserung fest". In der Synovate-Studie gaben 82 Prozent der Befragten an, ihre Leistungen mit Nachhilfeunterricht verbessert zu haben. Das hat seinen Preis: bei Studienkreis kosten 45 Minuten Unterricht durchschnittlich acht Euro. Nicht alle Eltern können sich das leisten.