Internes Papier der Organisation spricht von “planetarischer Rettungskampagne“. Verfassungsschutz warnt vor anti-demokratischen Praktiken.

Berlin. Der Glaskasten des Anstoßes steht an der Otto-Suhr-Allee im Berliner Stadtteil Charlottenburg: sechs Stockwerke, 4000 Quadratmeter, allein 500 Quadratmeter Hightech-Foyer voller großer Flachbildschirme, eine "Kapelle" für 100 Besucher, drei Kinos und viele junge, attraktive und äußerst hilfsbereite Damen. An der Fassade prangt der Schriftzug "Scientology Kirche".

Anstoß nehmen Politiker, Pädagogen und Kirchenleute quer durch Berlin und die Republik. CDU-Generalsekreär Ronald Pofalla schimpft: "Es ist unerträglich, dass sich Scientology in der Hauptstadt breitmacht." Manfred Kammerer, Leiter einer nur 50 Meter vom Scientology-Zentrum entfernten Grundschule, sagt besorgt: "Wir sind sensibilisiert, seit wir wissen, dass Schüler schon in dem Gebäude waren." Und Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands, warnt: "Im Namen einer Religionsgemeinschaft werden Menschen bedrängt und Geschäfte gemacht."

Ursula Caberta, Leiterin der Arbeitsgruppe "Scientology" in der Hamburger Innenbehörde und bundesweit profilierteste Kennerin des New Yorker Psycho-Konzerns, sieht in der Eröffnung des Berliner Bürohauses an diesem Sonnabend das jüngste Etappenziel einer "generalstabsmäßigen Gesamtplanung namens ,Kreuzzug Europa'" erreicht. Aufgabe der Scientologen sei es nun, "die nötigen Zufahrtsstraßen in das deutsche Parlament zu bauen".

Expertin Caberta, die seit vielen Jahren Scientology-Opfer, Angehörige und Aussteiger betreut, kann aus einem internen Scientology-Papier zitieren, in dem es heißt: "Um unsere planetarischen Rettungskampagnen in Anwendung zu bringen, müssen wir die obersten Ebenen der deutschen Regierung in Berlin erreichen." Die Organisation, so Ursula Caberta, führe "Krieg gegen das demokratische System". Die Zentrale in den USA habe die Parole ausgegeben: "Jetzt ist Europa dran." In Madrid, London und Brüssel sind Scientology-Zentren bereits am Werk, am Ende wolle die obskure Organisation "in allen Hauptstädten Europas vertreten sein". Nach Lesart von Scientology-Sprecher Frank Busch reflektiere das neue Gebäude in Berlin "das internationale Wachstum von Scientology, auf das wir mit einem internationalen Programm reagiert haben, um neue Kirchenräumlichkeiten in den Hauptstädten der Welt zu etablieren".

Zorn, Kritik und Warnungen reagieren auf ein Unternehmen mit schillernder Fassade: Für Scientology werben Hollywoodstars wie Tom Cruise, John Travolta und Ann Archer. Cruise und seine dritte Ehefrau Katie Holmes ließen sich erst vorletzten Monat in Italien von Scientology-Führer David Miscavige (46) trauen. Travoltas Ehefrau Kelly Preston erscheint auf der Internetseite des eigens für prominente Unterstützer eingerichteten Celebrity Centres in Hollywood mit dem australischen Popstar Kate Ceberano und den Schauspielern Anoush NeVart ("Kissing Cousins"), Marisol Nichols ("Delta Farce") oder Vincent Caso ("American Fork"). Es scheint wie in dem Sprichwort, dass der Teufel stets hinter den schönsten Larven stecke.

Die Strategie, über Leinwand- und Bildschirm-Idole in die Herzen der Menschen zu finden, stammt von Scientology-Gründer Lafayette Ron Hubbard (1911-1986) selbst: "Eine Kultur ist nur so groß wie ihre Träume", schrieb der Autor mittelmäßiger Science-Fiction-Romane 1951, "und diese Träume werden von Künstlern geträumt." Deshalb sollen Celebrity Centres für Berühmtheiten aus dem Showgeschäft als "Kunst- und Kulturzweig" des Unternehmens blühen - bisher in New York, dem Country-Mekka Nashville (Tennessee), London, Paris, Wien und Florenz.

Hubbard, Sohn eines Versorgungsoffiziers der US-Navy, studierte ohne Abschluss auf Bauingenieur, schrieb Groschenromane und diente im Zweiten Weltkrieg als Lieutenant einer PR-Abteilung. 1945 fand er Kontakt zu dem berüchtigten Satanisten Alistair Crowley. 1950 ersann Hubbard eine Lehre, die er "Dianetik" nannte und als "angewandte religiöse Philosophie" bezeichnete. In deren Mittelpunkt stand eine "Studiertechnologie" gegen Analphabetismus und Schulmüdigkeit. 1952 baute er seine Erfindung zur Scientology aus, 1954 gründete er die "Church of Scientology".

Wie ähnliche Pseudoreligionen spülte die ökologisch-esoterische New-Age-Bewegung der 80er-Jahre auch Hubbards "Kirche" ins weltweite Interesse. Nach Hubbards Tod übernahm der katholisch erzogene Trompetersohn David Miscavige aus New Jersey mit erst 26 Jahren die Führung und baute die Organisation zum Psychokonzern aus, der - wie das Kölner Verwaltungsgericht urteilte - die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung einschränken wolle.

Von der vielfältigen Konkurrenz der modernen Sekten und Seelenfänger unterscheidet sich der Konzern, dem vor allem teure Seminare für Erfolgsuchende die Kassen füllen, durch Tarnung, Tricks und ungewöhnliche Aggressivität.

Die Tarnung als Kirche soll suggerieren, Scientology habe Gemeinnützigkeit im Sinn. Die Werbung etwa der Scientology Kirche e. V. Eppendorf nennt Termine für "Sonntagsandachten" und "Ehrenamtliche Geistliche". Die Scientology Kirche Hamburg e. V. berichtet von angeblichen Scientology-Hilfseinsätzen nach Terroranschlägen oder Flutkatastrophen und gibt dabei stets gutes Einvernehmen mit den Amtskirchen vor: In New Orleans etwa hätten sich Scientology-Helfer in einem Nonnenkloster eingerichtet, und "die katholischen Schwestern waren dankbar für die Hilfe".

Die Tricks zielen vor allem auf junge Leute. Eva Herzfeld vom deutschen Philologenverband warnt vor Anbietern von Schülernachhilfe, hinter denen Scientology stecke. Helga Lerchenmüller, Sektenexpertin des Stuttgarter Vereins Aktuelle Bildungsinformation (ABI), rechnet etwa Applied Scholastics oder ZIEL (Zentrum für individuelles und effektives Lernen) dem Scientology-Konzern zu.

Für die Lobbyarbeit gründete Scientology nach Erkenntnissen von Ursula Caberta Organisationen mit unverdächtigen Namen. Die Gruppe "Mitbürger unterstützen Toleranz" (MUT) sammele Unterschriften für eine Religionsfreiheit, die vor allem Scientology zugute kommen soll. Eine "Aktion transparente Verwaltung" habe für das seit einem Jahr geltende Informationsfreiheitsgesetz geworben, weil Scientology sich davon verspreche, Informationen über die Haltung deutscher Behörden zu ihrer "Kirche" erkunden zu können.

Aggressiv wird Scientology gegenüber Aussteigern und deren Angehörigen, aber auch gegenüber Kritikern und Gegnern. Betroffene berichten von Telefonterror, Verfolgung, Stalking und sogar körperlicher Bedrohung. Politiker und Journalisten werden immer wieder von Scientology-Juristen attackiert, die gern die Sympathie amerikanischer Gerichte nutzen. Als Ursula Caberta im Jahr 2000 in Florida Aufklärungsarbeit leisten wollte, wäre sie fast vor einem Richter in Tampa gelandet. Anklage: "Religiöse Diskriminierung".

Vor diesem Hintergrund fällt auch der offenbar bevorstehende Umzug der deutschen Scientology-Deutschlandzentrale von München in das neue Gebäude in Berlin auf fruchtbaren Boden: In der Hauptstadt darf der Landesverfassungsschutz den oft auch als Sekte bezeichneten Psychokonzern nach einem Gerichtsurteil von 2003 nicht mehr kontrollieren. Die Kirchen sind pleite, leer und ohne politische Freunde in der Führung der Stadt. Die meisten Eltern vermitteln ihren Kindern schon lange keine religiöse Erziehung mehr. An den Schulen musste der Religionsunterricht einer diffusen Ethikkunde weichen. Und auch die deutsche Glamour-Gemeinde der Mimen, Luder und Promi-Friseure sammelt sich längst nicht mehr nur an der Isar, sondern lieber an der Spree.